Paris - Wenige Tage vor der ersten Runde der Präsidentenwahl in Frankreich ist der sozialistische Premierminister Lionel Jospin auf Konfrontationskurs zu Amtsinhaber Jacques Chirac gegangen. Bei einer Wiederwahl Chiracs werde das Land "nicht ohne Krise bis in das Jahr 2007" kommen, sagte Jospin am Mittwoch in einem Radiointerview. Chirac habe sich nie am "Allgemeinwohl" orientiert, warf der sozialistische Herausforderer dem Präsidenten vor. Die Verschärfung des Tons durch den bisher zurückhaltenden Regierungschef führten Beobachter auf die schlechten Umfragewerte von Jospin zurück. In der jüngsten Untersuchung für das Wochenmagazin "L'Express" wurden Jospin für den ersten Wahlgang am Sonntag nur 16,5 Prozent der Stimmen vorausgesagt, Chirac hingegen 20 Prozent. Jospin warf Chirac vor, als Premierminister in den siebziger und achtziger Jahren und auch zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident es nicht, das "soziale Band" in der Gesellschaft gestärkt zu haben. Man müsse sich nur in Erinnerung rufen, wie der Neogaullist in Regierungsverantwortung gehandelt habe. 1976 sei Chirac als Premierminister zurückgetreten, in seiner zweiten Amtszeit als Regierungschef sei es zehn Jahre später zu Studentenprotesten gekommen. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Francois Hollande, verglich Chirac mit dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Beide machten im Wahlkampf falsche Versprechungen. "Ich möchte nicht in einem Jahr mit zwei oder drei Millionen Menschen in Paris auf die Straße gehen", sagte Hollande unter Anspielung auf den Generalstreik in Italien am Dienstag. Chiracs Wahlkampfchef Antoine Rufenacht sprach von einem sonderbaren Demokratieverständnis Jospins. Unter dessen Regierung habe es Demonstrationen von Ärzten, Krankenhausangestellten, Hebammen, Polizisten, Richtern, Zöllnern und Gendarmen gegeben. Schwache Umfragewerte vor erster Runde Nach der Umfrage des "Express" wünschen derzeit nur 33 Prozent der Wähler, dass Jospin Präsident wird, auch für ein weiteres Mandat Chiracs sprechen sich nur 38 Prozent aus. Dagegen steigen die Umfragewerte für die rechten und linken Außenseiter. Neben der Trotzkistin Arlette Laguiller mit rund sieben Prozent hat sich der 27-jährige Briefträger Olivier Besancenot mit trotzkistischen Thesen die Sympathie von vier Prozent der Wähler gesichert. Am rechten Rand wollen mehr als zehn Prozent für Jean-Marie Le Pen und weitere zwei bis drei Prozent für dessen Intimfeind Bruno Megret stimmen. Le Pen will sich erst vier Tage vor der Stichwahl zu einer Wahlempfehlung äußern. Falls Chirac "wie in den vergangenen 15 Jahren" keine Absprachen seiner Neogaullisten (RPR) mit der rechtsextremen Front National (FN) Le Pens zulasse, könne er nicht auf seine Wähler zählen, sagte Le Pen der Tageszeitung "Le Monde" von Donnerstag. Er werde sich am 1. Mai äußern, ob er eine Wahlempfehlung ausspreche. Megret zeigte sich deutlich kritischer zu Jospin als gegenüber Chirac. Während Jospin "Frankreich zerstört", zerstöre Chirac nur "die Rechte". Weil vermutlich keiner der insgesamt 16 Kandidaten am Sonntag die absolute Mehrheit erreichen wird, sind für den 5. Mai Stichwahlen zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen geplant. Die Nationalversammlung wird im Juni neu gewählt. Jospin und Chirac haben sich zuversichtlich geäußert, beide Wahlen zu gewinnen. Umfragen vom Wochenende zufolge ist eine niedrige Wahlbeteiligung zu erwarten. (APA/Reuters/AP)