Die Berichterstattung über die "Auflösung des Jugendgerichtshofes (JGH)" ist von den Fakten weit entfernt. Deshalb vorweg: An der bewährten Jugendgerichtsbarkeit wird nicht gerüttelt. Schon gar nicht stelle ich die Sonderregelungen des Jugendstrafvollzuges infrage. Das gilt auch für die Ausdehnung der Zuständigkeit des JGH für "junge Erwachsene" - also Personen bis 21 Jahre. Ich stehe als Justizminister voll hinter diesem Konzept. Nicht zum Konzept gehört allerdings die Institutionalisierung der Rechtsprechung in Jugendstrafsachen in einem bestimmten Haus, hier: Rüdengasse 7-9, 1030 Wien. Welche Gründe sprechen für eine Strukturreform? In der Rüdengasse sind derzeit 16 Richter tätig, fünf sind mit bezirksgerichtlichen Agenden ausgelastet, und zwar unüblicherweise in einer Dienststelle. Die Bezirksrichter sollen künftig bei den örtlichen Wiener Bezirksgerichten tätig sein. Im Straflandesgericht gibt es seit 1997 nach Beendigung der Großreparatur räumliche Überkapazitäten, die alle Richter, Staatsanwälte, Kanzleibedienstete des JGH einschließlich der Wiener Jugendgerichtshilfe aufnehmen können. Rechtsstaatlich weist die derzeitige Situation nicht zu übersehende Besonderheiten auf. Die Vereinigung von Bezirks- und Landesgerichtsrichtern des JGH in einer Dienststelle ist rechtsstaatlich bedenklich. Rechtsmittel gegen ein bezirksgerichtliches Urteil werden im Rahmen derselben Dienststelle, von der es gefällt wurde, behandelt. Unüblich ist auch, dass der JGH manchmal in (schwerwiegenden) Pflegschaftssachen tätig wird, sodass für manche Jugendliche, wenn auch zum Teil zeitlich hintereinander, zwei Pflegschaftsgerichte zuständig sind. Der sehr verdienstvolle Präsident des JGH Wien geht aus Altersgründen mit Jahresende 2002 in Pension, desgleichen wäre die Leitung der Staatsanwaltschaft (StA) beim JGH in den nächsten Monaten neu zu besetzen. Es liegt deshalb nahe, die Integration des JGH in das LG für Strafsachen Wien und der Staatsanwaltschaft beim JGH in die StA beim LG für Strafsachen Wien zu überlegen. Die Richter und Staatsanwälte bleiben dieselben, an der Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe ändert sich nichts, die Vollzugssonderregelungen sind auch in der Justizanstalt (JA) Josefstadt gegeben. Der Vollzug der Strafhaft von Jugendlichen ist weiterhin in Gerasdorf wie in der JA Erdberg gewährleistet. Mittelfristig wird die Errichtung einer Vollzugsanstalt für Jugendliche im Vorstadtbereich von Wien angestrebt, weil im Umfeld einer Großstadt die Resozialisierung der Jugendlichen durch Arbeitsleistung als Freigänger (die Jugendlichen arbeiten tagsüber außer Haus und kommen nach der Arbeit wieder in die Justizanstalt zurück) besser möglich ist. Die beschriebene Integration bewirkt keinen Qualitätsverlust, bringt aber Synergieeffekte. Sechs Planstellen - vorwiegend im nicht richterlichen Bereich - können eingespart werden, ein Gebäude würde frei werden. Von den rechtlichen Besserstellungen für Jugendliche muss und wird kein Abstrich gemacht werden. Es ist schade, dass mangelnder Durchblick zum Vorwurf der Konzeptlosigkeit und die Lust an vorschneller Kritik dieses sachliche Vorhaben unter anderem mit dem Argument desavouiert, dass "selbst die Nazis das Haus in der Rüdengasse nicht auflösten, sondern die Richter dort arbeiten ließen" (Samo Kobenter im Standard vom 17. 4.). Nach Herstellung des politischen Konsenses wurden alle Beteiligten von mir als Justizminister umgehend zu Gesprächen eingeladen. Dass ich solche Vorhaben primär mit der Regierung akkordiere, kann wohl kein Fehler sein. Dieter Böhmdorfer Justizminister (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 18. 4.2002)