Wien - Wenn am 28. April die letzten zwei Urnen mit Überresten von Kindern, die am Wiener Spiegelgrund von österreichischen Naziärzten und -krankenschwestern ermordet wurden, am Zentralfriedhof beigesetzt werden, geht dieses dunkle Kapitel heimischer Geschichte noch immer nicht zu Ende. Weder ist der diesbezüglich letzte NS-Ärzteprozess abgeschlossen, noch ist die seit Jahren geplante Installierung einer Forschungseinrichtung zur Aufarbeitung dieser Verbrechen gesichert.

Der "Steinhof", heute Otto-Wagner-Spital, wurde 1907 als größte und modernste Heil- und Pflegeanstalt Europas gegründet. Ab 1940 war er Zentrum der Wiener NS-Tötungsmedizin. Knapp 7000 erwachsene Patienten wurden am Steinhof zu Tode behandelt oder von dort in Vernichtungslager deportiert.

Unter dem Namen "Am Spiegelgrund" existierte am Steinhof auch eine "Kinderfachabteilung" zur Erfassung und Vernichtung behinderter Kinder. Mindestens 790 Mädchen und Buben wurden dort ermordet, die meisten buchstäblich ausgeschlachtet: Hunderte von Einmachgläsern mit ihren Gehirnen standen bis vor etwa drei Jahren in der Pathologie am Steinhof, im Institut für Neurologie der Uni Wien und anderen Instituten. Dann wurden sie beschlagnahmt, der Wiener Psychiater Heinrich Gross, ehemals SA-Arzt am Spiegelgrund, der noch lange nach 1945 Forschungen an diesen Kinderhirnen betrieben hatte, der Beteiligung am mehrfachen Kindesmord angeklagt.

Der Prozess begann und wurde auf unbestimmte Zeit vertagt: Der heute 86-jährige Gross war verhandlungsunfähig und wird es bleiben. "Im Juli wird sich der Richter überlegen, ob er Gross noch einmal begutachten lässt", erklärte Mittwoch Friedrich Forsthuber vom Wiener Straflandesgericht. Aufgrund fortschreitenden Demenz "rechnet aber niemand mehr mit einer Prozessfortsetzung". Darum waren auch die Gehirne im Vorjahr zur Bestattung freigegeben worden.

Keine Öffentlichkeit

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden vergangene Woche schon 597 Urnen mit den Überresten der Kinder bestattet. In der kommenden Woche wird eine weitere Urne im Rahmen einer ökumenischen Trauerfeier bestattet. Am 28. April werden die letzten zwei Urnen symbolisch für alle Spiegelgrund-Kinder öffentlich aufgebahrt und nach entsprechenden Gedenkfeierlichkeiten bestattet.

Am 6. Mai wird im Pavillon V des Otto-Wagner-Spitals eine ständige Ausstellung zum Thema eröffnet. Daran hätte eine Forschungseinrichtung angeschlossen werden sollen. Finanzstadtrat Sepp Rieder glaubt, seine Amtskollegin Elisabeth Pittermann sei dafür die anzusprechende Geldgeberin, diese glaubt das nicht: Ihr Gesundheitsressort sei nicht zuständig für die Finanzierung von Kultur- und Forschungseinrichtungen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.4.2002, fei)