Foto: RoyStrong/DVA 1996
+ + + PRO Luise Ungerboeck Wenn im Garten die rote Sonne am Horizont versinkt und die Dämmerung den Mantel der Ruhe über das beschauliche Krähwinkel breitet, beginnt das große Schmatzen. Das Epizentrum sind die knackigen Lollo-Rosso-Pflänzchen gleich neben dem Spinatbeet. Arion empiricorum, die gemeine Wegschnecke, weiß schließlich, was schmeckt. Auch das fette, saftige Rot der gehätschelten Früherdbeeren verfügt offenbar über magische Anziehungskräfte: Ehe der Tag anbricht und die Sonne den kargen Steinfeldboden erwärmt, sind sie verschnabuliert, in Nullkommanix sozusagen. Tagsüber dienen den orangefarbenen Schleimkriechern die Rhabarber-Pletschen als Sonnenschirm - zur Erholung von den Anstrengungen nächtlicher Fressorgien sozusagen. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis wir den Raubtieren auf die Schleimspur gekommen sind: Verfolgungsjagden in aller Herrgottsfrüh bewaffnet mit Taschenlampe, einer alten Kohlenzange und einem Glas Salzwasser - Sisyphus ist nix dagegen. Die Blattln waren bei Sonnenaufgang wieder abgefressen, richtige Salathäuptl wurden nie daraus. Geholfen hat im Abwehrkampf allein die Systematik: Die Ribiselstauden haben wir vom Wildwuchs, der uns bisher wurscht war, befreit und die Brombeeren detto. Die Dahlien sitzen dicker und fetter denn je in ihren netten, gutbürgerlichen Rabattln, und es tut gar nicht weh in der Seele. Der neue Nachbar aber, bei dem die orangenen Schnecken in voller Lust dahinschleimen, ist nun unser Gartenfeind.
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- - - CONTRA Ute Woltron Wieder einmal bietet sich die willkommene Gelegenheit, gegen den stamm- und blattgewordenen Auswuchs Kleinbürgerdenkens vorzugehen und das erbärmlichste, gleichwohl beliebteste Gewächs des Mitteleuropäers zu geißeln, nämlich die Thuje. Von Gestank, Hässlichkeit und Giftigkeit dieses Gesträusses war bereits wiederholt im S TANDARD die Rede, noch nicht zur Ausführung gelangte der Umstand, dass Thujenhecken, mit denen der Garten zu vermeintlich versaillesartigen Anlagen strukturiert werden soll, nur ein einziges Talent aufzuweisen haben: Sie wachsen schneller als jedes Unkraut. Letzteres verdünnisiert sich ohnehin ehebaldigst, weil im Schatten der Thuje alles Leben erlischt, und irgendwann einmal ist außer Thujen nichts gewesen, weil Garten spielt es anderswo und Viecherln ebenso. Der Schmetterlinge liebliche Reigen beispielsweise gaukelt nur, wo üppig gewuchert werden darf, wo Nesseln noch brennen und wo kein ständiges Geschnippsle den Zauber ungezähmter Naturschauspiele in menschgewollte Formen zwängt. Die gärtnerischen und kulinarischen Tugenden großer Brennesselkolonien aufzuzählen, würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, und wer frühlings teure Gebinde käuflich erwirbt, anstatt mit fetten Wiesenblumenbüscheln wachelnd heimzukehren, ist an seinem Unglück selber schuld. Es lebe der Dschungel, und die Thuje, diese erbärmliche Verirrung der Natur, möge an ihrem eigenen Moderlüfterl verrecken. derStandard/rondo/19/4/02