Matthias Cremer
Stotternd ruckelt das Förderband an der Kassa weiter. Wie ein träger Kinofilm mit Unterbrechungen. Drei Kurzfilme werden heute an Kassa 5 gegeben. Ganz vorne zückt eine kurzsichtige Rentnerin ihre riesige Börse. Vertrauensselig hält sie das Portemonnaie der Kassierin hin. Sie soll sich aus dem Euro-Salat heraussuchen, was sie für richtig hält. Wir haben den Krieg überlebt. Wir haben dieses Land wieder aufgebaut. Eine Währungsumstellung machen wir nicht mehr mit. Die zwei Inzersdorferkonservendosen und das Hühnerschnitzel reichen bis übermorgen. Hoffentlich gilt dann der Euro noch. Die Nächsten in der Schlange: ein junges Pärchen. Sie sehen so aus, wie sich die Werbespots der Telekommunikationsbranche die Zielgruppe zwischen 18 und 25 vorstellen. Siebzigerjahre-Sonnenbrillen halten das in verschiedenen Farben getönte Haar in Schach. Auf dem Fließband liegen hundertprozentig vitaminfreie Produkte. Nach der Kassa werden sich die beiden fragen, ob sie die Bierdosen, Orangensaftpackungen und Kartoffelchips in ihre Wohnung oder seine WG tragen sollen. Party! Vor mir rangiert eine Mutter hektisch ihre Beute auf dem Band. Die Zeit arbeitet gegen sie. Wie sonst im Leben auch. Große Mengen Fruchtzwerge, Windeln und Waschpulver deuten auf das bevorstehende Wochenende hin. Dazwischen ein paar Notwendigkeiten wie Milch, Brot, Butter und Tiefkühlpizza. Im Einkaufswagen sitzt der kleine Kevin und hat gerade eine Riesenpackung Bonbons aufgerissen. Die Mutter könnte jetzt gut ein weiteres Paar Hände gebrauchen, um die herauskullernden Zuckerln einzusammeln oder um die Tochter davon abzuhalten, mit ihren Fingern in die Fruchtzwerge zu bohren. Jetzt steuert der Film seinem dramaturgischen Höhepunkt entgegen. Mit stummem fragenden Blick hält die Kassierin der Mutter ein dünnes Nylonsäckchen mit Äpfeln hin. Da haben wir wohl vergessen, das in der Obstabteilung abzuwiegen? derStandard/rondo/19/4/02