Schüchtern schleicht er durch das Publikum. Jasper Morrison, die Instanz in Sachen Reduktion und Vereinfachung, ist kein Freund großer Gesten und Worte. Schweigsam signiert der Brite Bücher, schiebt sich behutsam an Besuchern vorbei und fühlt sich unwohl: zu viele Menschen, zu viel Gerede, zu wenig Inhalt. Aber er macht das, was bei der Mailänder Möbelmesse von ihm erwartet wird: einen guten Eindruck. Im Showroom von Giulio Cappellini, jenem risikofreudigen Unternehmer, der Morrison 1988 zum internationalen Durchbruch verhalf, präsentiert der Minimalist das längst überfällige Buch zu seinen bisherigen Arbeiten. Obwohl das Buch kein Möbel ist, darf es zu den Highlights der diesjährigen Möbelmesse in Mailand gerechnet werden. Hervorragend verarbeitet, innovativ gestaltet, präzise formuliert: Es weist jene Merkmale auf, die bei den Möbeln auf dem "Salone Internazionale del Mobile" nur mühsam zu entdecken waren. Ob Küchen- oder Polstermöbel, ob Büro- oder Schlafrauminterieur: lauter Varianten des Bekannten. Die Hersteller geben sich zurückhaltend. Filzregale und Sessel aus Filzstreifen Lediglich die üblichen Verdächtigen der Branche können mit kleinen Überraschungen aufwarten. "B&B Italia" empfiehlt sich mit einem Filzregal, das jüngst einem Designwettbewerb für junge Architekten entsprang. Edra zeigt einen sicherlich vollkommen unverkäuflichen Sessel aus Filzstreifen, beweist aber wie immer Mut. Alias tüftelt verunsichert an Details der Kollektion und überzeugt durch eine Präsentation, die einem Irrgarten gleicht. Mit ihrem Messestand bringen die Italiener die Situation der Branche besser auf den Punkt, als es vielleicht beabsichtigt war. Denn die Möbelszene zeigt sich - nicht zuletzt durch massive Umsatzeinbrüche verursacht - vollkommen orientierungslos, im Zustand verunsicherter Beklemmung, gefangen im Labyrinth. Zehn Architekten + ein Designer = Grand Hotel Salone Weit innovativer als die Aussteller gibt sich der Messeveranstalter. Zehn Architekten und Designer hat man eingeladen, sich mit dem Leben unterwegs zu befassen. Ein komplettes Hotel, das Grand Hotel Salone, ist entstanden, an deren Räume - jeder misst 4,30 x 7,50 Meter - die gleichen Anforderungen gestellt wurden: Ein Schlafplatz und ein Kleiderschrank, ein Sanitärbereich sowie eine Ruhe-Ecke mussten untergebracht werden. Zum Zuge kamen prominente Designer wie Ron Arad, Zaha Hadid oder Toyo Ito. Letzterer hat einen Raum von poetischer Ruhe geschaffen. Weiße Kreise umschließen Bett wie Badewanne, runde Treppen bilden die einzige Grenze zum ansonsten offenen WC-Bereich. Licht strömt durch milchiges Glas ins Innere, der Teppich ist aus flauschigem Textil. Nichts in diesem Raum erinnert an die Tristesse heutiger Hotels. Einige Gestalter sind sich offenbar einig, dass es - zumindest im Hotel - einer Trennung zum Bad nicht mehr bedarf. Vater und Sohn Legorreta begnügen sich mit einer Glasscheibe als Trennung, ebenso Vico Magistretti, den der Durchblick in die Nasszellen auch nicht stört, und Richard Meier errichtet eine transluzente Dusche mitten im Raum. Das Geschäft der Selbstvermarktung Nun ist es in Mailand Tradition und gute Sitte, gerade den jungen Köpfen ein Forum zu bieten. Im "Salone Satellite" geben sich alljährlich hunderte Designerinnen und Designer ein Stelldichein, suchen Produzenten und Gönner, empfehlen sich als Aufsteiger von morgen. Jene unter ihnen, die schon etwas Erfahrung gesammelt haben, wissen, worauf es ankommt: lässig lächeln, routiniert reden, professionell präsentieren. Kurz: Auch sie machen einen guten Eindruck. Die Berliner Gruppe "lla.bor", die "formgeber-berlin" und das "Büro für Form" aus München sowie Thorsten Franck gehören schon zu den eloquenteren Vertretern. Besonders gut beherrscht das Geschäft der Selbstvermarktung Beat Karrer. Seit er vor drei Jahren die ersten Designpreise einheimste, blickt die Designwelt inzwischen interessiert auf einen der innovativsten Köpfe der Schweiz. Sein Steckenpferd sind preiswerte Produkte. So verwendet er bei einem Tisch eine Kunststoffplatte, die ohne Behandlung der Oberfläche auskommt; an Stelle einer aufwändigen Bearbeitung der Kanten spannt er einen riesigen Fahrradschlauch um die Platte. Bei dem Regal "Do it yourself" setzt er auf die Mitarbeit seiner Kunden. Ein einfaches Stanzteil aus Metall kann an perforierten Linien geknickt werden, fünf unterschiedliche Regaltiefen fertigt der Heimwerker so aus einem einzigen Bauteil am heimischen Küchentisch. Im Trend der Berufsjugendlichen liegt er jedoch mit seinen einfachen Lösungen nicht. Schließlich bemühten sich die meisten, der versammelten Gestalter möglichst dicht an die großen Vorbilder heranzukommen. Unbekümmertheit, Newcomer und Awards Mit zweifelhaftem Erfolg: Denn vor lauter Professionalität bleibt der Esprit auf der Strecke, entsteht marktkonforme Langeweile. Auch die jungen Designer sind scheinbar benebelt vom konformistischen Diktat des gebeutelten Marktes. Und so dürfte es der Jury des nunmehr zum dritten Mal verliehenen "design report award" nicht schwer gefallen sein, unter den 300 Teilnehmern diejenigen ausfindig zu machen, die einer Förderung würdig erschienen. Nachdem in den letzten Jahren italienische Newcomer geehrt wurden, ging das Preisgeld von 5000 Euro nun erstmals nach Deutschland. Stefan Diez und Christophe de la Fontaine, die in Stuttgart gerade ihr Designstudium beenden, bekommen die begehrte Auszeichnung für ihre gesamte Produktserie. Dass ihre Arbeit gewürdigt wird, hat gute Gründe. Denn ihre kleinen Objekte führen jene Unbekümmertheit vor, die andere Designer vermissen lassen. Etwa ein Objekt, das auf den Namen "After Eight" hört, aussieht wie ein kleines Pferdchen und eine Kreuzung aus Tisch und Stuhl ist. Ein kleines Möbel mit Abstell- und Anschlussmöglichkeit für einen Laptop. Speziell für "die Arbeit nach Feierabend" gedacht. Es ist Zeugnis einer noch unverkrampften Freiheit der nun geförderten Designer. Dass der vom deutschen Fachblatt "Design Report" verliehene Preis seine fördernde Wirkung tatsächlich hat, wissen die Gewinner aus dem vergangenen Jahr. Das Studio Mat , ein Verbund von vier Mailänder Gestaltern, präsentierte ein Regalsystem aus Aluminium. Heuer wieder zu sehen war es im "Superstudio Piú", nun aber nicht mehr als Prototyp, sondern serienreif. Produziert wird es von Cappellini. Damit sind die Gewinner des Award nicht nur auf gleicher Augenhöhe mit so klangvollen Namen wie Ron Arad, Jasper Morrison oder Paul Smith, sie sind auch Teil des Top-Events in Mailand: dem von der italienischen Fachzeitung "Interni" veranstalteten Rahmenprogramm, das über 200 Veranstaltungen in Showrooms, Lagerhallen und Geschäften umfasst und alljährlich zehntausende Besucher der internationalen Designszene anlockt. Zudem ist das "Superstudio Piú" eine der besonderen Adressen im Mailänder Designzirkus. Neben Cappellini stellt hier gleich eine ganze Sammlung von Unternehmen aus, allesamt bekannt für Designinnovationen: Magis zeigt Kunststoffmöbel, entworfen von Enzo Mari oder Werner Aisslinger, der französische Möbelverband Via fördert seinen Nachwuchs von Pascal Morgue bis Christophe Pillet und iittala stellt sich als Dachmarke der bislang unter vier Namen vertriebenen Küchenutensilien vor. Auf der Suche nach dem Trend Doch selbst bei dieser massiven Anhäufung fortschrittlicher Formgebung: der stets gesuchte Trend, er ist auch hier nicht eindeutig auszumachen. Es sei denn, abgerundete Ecken und jene volumigen Blob-Möbel, die ökologische Naturhaftigkeit vorgaukeln, also Dinge, die dem Schlagwort "Biomorphismus" gehorchen - der Architekt Frank O. Gehry hat ihn in die Welt gepflanzt - , sollen als Trend akzeptiert werden. Das wäre aufschlussreich. Denn dann dürften wir uns die kommende Welt als diffuses Gebilde aus lauter schleimig wabernden Formen vorstellen. Das kann aber doch niemand wollen, oder? Taumelnd sinkt der Besucher des Designspektakels zu Boden. Oder, was angeraten ist, er streckt sich auf der von Todd Bracher gezeichneten Liege von Zanotta nieder - und träumt. Die feuerbeständige Liege ist nach dem Mann benannt, der wohl am besten geeignet ist, die Rätsel des gegenwärtigen Designtraums zu deuten: Sigmund Freud. derStandard/rondo/19/4/02