Dass Sport immer auch Konnotationen des Regionalen und Nationalen mit sich führt (die fußballerische Konkretisierung wären hier das Derby bzw. Ländermatch) ist Allgemeingut. Doch ist Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen vielleicht sogar in der Lage eigene virtuelle Räume zu konstruieren?Der Kulturwissenschaftler Matthias Marschik versucht diese Frage anhand der Betrachtung des Mitteleuropa-Begriffs und seiner Realisierung im Mitropa-Cup zu klären. Dazu ist zunächst einmal die grundsätzliche Klärung der thoretischen Prämissen notwendig. Soziologische Ansätze, die den Sport als Mikrokosmos der Gesellschaft verstehen und ihm insofern den Status eines bloßen Abbildes zuschreiben, implizieren damit eigenlich auch die Sinnlosigkeit autonomer sportwissenschaftlicher (Teil-)Disziplinen. In der österreichischen Wirklichkeit hat eine solches Verständnis wohl mit dazu beigetragen, die akademische Beschäftigung mit Sport weitestgehend zu marginalisieren. Im Unterschied dazu gesteht Marschik dem Sport sehr wohl die Kraft zur Herausbildung eigenständiger Tendenzen (trotz einer grundsätzlich weiterhin bestehenden Bestimmung durch Ökonomie und Politik) zu. Er nähert sich somit einer systemtheoretischen Betrachtung an, die (zumindest in Luhmannsch'er Ausprägung) den Sport als Subsystem von Gesellschaft überhaupt auf die gleiche Stufe mit Politik, Wirtschaft, oder Wissenschaft stellen würde. Projektionen Des weiteren werde Sport von allen an ihm Teilhabenden (von den Rezipienten/Fans über seine Verwalter und Organisationen bis hin zu Akteuren aus Ökonomie und Politik) als neutrale Instanz gewünscht. Dieser tief sitzende Glaube an einen unpolitischen Sport kann heute jedoch nur mehr wider besseres Wissen aufrecht erhalten werden. Und trotzdem: gerade am vollkommensten durchkapitalisierte Großveranstaltungen wie olympische Spiele betonen am hartnäckigsten ihren jungfräulichen Charakter. Dieser Sachverhalt ermöglicht es allerdings auch, sportliche Ethik als ideologisches Vehikel zur Beförderung des Ideals der Leistungsgesellschaft einzusetzen. ("Wer es nur entschlossen genug versucht, kann alles schaffen.") Mit Pierre Bourdieu ("Sport ist soziale Praxis in Aktion") sieht Marschik Sport als "Agens massenwirksamer Entwicklungen", das konkret erlebt wird (trotz massenmedialer Vermittlung) und für individuelle Zwecke nutzbar gemacht werden kann. Er öffnet symbolische Räume die mit mythischen Erzählungen gefüllt werden können und trägt zur Formierung von "imagined communities" (Benedict Anderson) bei. Calcio Danubiano Berührungspunkte mit einem Begriff, wie Mitteleuropa, der geradezu durch seine Unschärfe definiert werden könnte, liegen somit auf der Hand. Von seinem topografischen Ort weit entfernt, kann Mitteleuropa am ehesten auf der psychischen Ebene von Vorstellungen der Zugehörigkeit zu einer Kulturgemeinschaft festgemacht werden, an die sich bestimmte lebensweltliche Erwartungen knüpfen können. Als fußballerisches Äquivalent zu Mitteleuropa kann der "Calcio Danubiano" gelten, wie im Italien der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein bestimmter Spielstil in Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei geprägt (genauer gesagt in Wien, Budapest und Prag, denn die ganze Angelegenheit war eine zutiefst urbane.) Als Randgebiete seiner Verbreitung galten später auch Italien selbst, Jugoslawien, Rumänien und die Schweiz mit ein. Dieser "Monarchiestil" (dessen Existenz heute nur noch schwer nachweisbar ist, aber in zeitgenössischen Medienberichten behauptet wurde) war demnach von folgenden Momenten charakterisiert: - dem Prager Steilpass - dem Budapester Kurzpass - dem Wiener Spielwitz (das wohl ephemerste Element dieser Mischkulanz) Zeitverschiebungen In allen drei Ländern entwickelten sich die Derbies der Hauptstädte schnell zu den Höhepunkten des Fußballjahres, sie waren auf dem Kontinent auch die Pioniere bei der Einführung des Profitums. Die relativ engen Kontakte der Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie auf sportlicher Ebene, standen dabei in deutlichem Gegensatz zu den anfangs äußerst reduzierten Verbindungen in Politik und Wirtschaft. Die sich entwickelnde Begeisterung der Massen für die Spiele machte den Fußball langsam aber sicher zum Wirtschaftsfaktor. Diese "Unterwanderung" offizieller Distanz durch ein populärkulturelles Phänomen führte zum Nachziehen anderer, quasi verpäteter Interessen. Das flüchtige Mitteleuropa wird so jedenfalls in den Stadien fass- und sichtbar. Die Motivation für die Institutionalisierung der Treffen im Mitropa-Cup (1927) war dann bereits vorrangig ökonomischer Natur. Der Name leitet sich allerdings nicht etwa von "Mitteleuropa" her, sonden von den Eisenbahnwagen der Firma Mitropa, mit denen die Teams zu den Matches reisten. Der Bewerb war hochangesehen und wurde als inoffizielle Europameisterschaft anerkannt, galten doch Österreich, Ungarn und die Tschechoslowakei als die führenden Fußballnationen auf dem Kontinent. Er wurde bis 1940 abgehalten, dann aber wegen des Krieges ausgesetzt. (Österreichische Vertreter nahmen seit dem Anschluss 1938 nicht mehr teil.) Nach 1945 wurde der Bewerb reaktiviert, konnte jedoch seine frühere Bedeutung nie mehr zurückgewinnen. Unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit wurde immerhing bis 1992 weitergemacht. (Der letzte Titelträger heißt übrigens Borac Banja Luka.) Aufblitzen Nach der politischen Wende in Osteuropa Ende der 80er Jahre werden plötzlich auch in Österreich (sportliche) Mitteleuropa-Ideen wieder ventiliert (Handball-WM der Damen mit Ungarn, Eishockey Alpenliga,...). Nach dem Scheitern einiger Projekte, wie der gemeinsamen Bewerbung mit Ungarn für die Fußball-EM 2004, scheint diese Phase allerdings bereits wieder zu Ende zu sein. Man verlässt sich nunmehr offenbar lieber auf Partner, die ökonomisch verlässlicher sind als die Ossis... . (rob) Matthias Marschik, Kulturwissenschaftler, Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien und Klagenfurt sowie an der Universität für Künstlerische und Industrielle Gestaltung Linz. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte und Gegenwart des (vor allem österreichischen) Fußballs, u.a. (gemeinsam mit Doris Sottopietra) Erbfeinde und Haßlieben. Konzept und Realität Mitteleuropas im Sport (Münster 2000), Wiener Austria. Die ersten neunzig Jahre (Wien 2001) sowie (gemeinsam mit Roman Horak) Das Stadion - Facetten des Fußballkonsums in Österreich (Wien 1997)