Frankreich
Chirac vorne - Le Pen lauert im Hinterhalt
Frankreichs Wahlen werden doch noch spannend: Extremkandidaten bedrohen die Favoriten
Die Rollen bei den französischen Präsidentschaftswahlen schienen lange verteilt.
Der erste Wahlgang am Sonntag mit einer Rekordzahl von
16 Kandidaten galt als bloße
Warmlaufübung für Staatschef Jacques Chirac und Premier Lionel Jospin, beide hatten ihre Strategie auf die
Stichwahl in zwei Wochen
ausgerichtet. Doch in den
jüngsten Umfragen sind Chirac und Jospin nun unter 20
Prozent gefallen, Letzterer gar
auf 16,5 Prozent.Der Sozialist gerät damit in
gefährliche Nähe von Front-National-Chef
Jean-Marie Le
Pen, dem zwölf
bis 14 Prozent
der Stimmen vorausgesagt werden. Die Zeitung
Le Monde fragte
in ihrer Donnerstagausgabe auf
dem Titelblatt:
"Die Extreme Rechte im zweiten Wahlgang?" Auch die Sozialisten malen plötzlich Le
Pens Wahlgespenst an die
Wand. Sie versuchen damit
die Wählerschaft links außen
für Jospin zu mobilisieren,
nachdem allein die drei trotzkistischen Kandidaten auf
mehr als zehn Prozent Umfragestimmen kommen; deren
Hauptexponentin, die 62-jährige Arlette Laguiller, will im
zweiten Durchgang keinesfalls zur Wahl von Jospin aufrufen.
Der 73-jährige Le Pen
trumpfte am Mittwoch in einem Fernsehinterview groß auf: Er werde im
ersten Wahlgang Jospin und
im zweiten Chirac schlagen,
behauptete er.
Seine Partei ließ
für die Zeit zwischen den beiden Urnengängen bereits
sechs groß Wahlkampfsäle reservieren. Bruno Mégret, ein
Abtrünniger Le Pens, nimmt
dem Front National indes
rund drei Prozent in den Umfragen weg und dürfte Le Pen
letztlich am Einzug in die
Stichwahl hindern.
Erst sehr spät beginnen sich
die Franzosen doch noch für
die Präsidentschaftswahlen
zu interessieren. Allerdings
kaum für die politische Debatte, da die Spitzenkandidaten
der Rechten und Linken weitgehend identische Vorschläge
machen: Chirac und Jospin
wollen die Steuern senken,
minderjährige Gewalttäter in
geschlossene Anstalten stecken und den EU-Kurs beibehalten - das heißt, vor allem
auf den Erhalt der Agrarsubventionen pochen.
Auch seriöse Medien berichten deshalb vorzugsweise
über die Gattinnen der Kandidaten oder halten sich mit Detailfragen auf - zum Beispiel,
ob es in Ordnung war, dass der
Zentrist François Bayrou einem Jugendlichen eine Ohrfeige verpasste, weil ihm dieser mitten im Wahlkampfauftritt die Brieftasche klauen
wollte. Nutznießer der extremen Personalisierung ist eher
der joviale Vollblut-Wahlkämpfer Chirac als der trockene Sachwalter Jospin. Der 69-jährige Gaullist wirkt in jüngsten Fernsehinterviews optimistischer und gelassener.
Hinter den Kulissen rangeln
sich Chiracs engste Mitarbeiter - Nicolas Sarkozy, Jean-Pierre Raffarin oder Philippe
Douste-Blazy - bereits um den
Posten des Premiers. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 19.4.2002)