Warschau/Wien - Das Centrum Finansowe/Financial Center ist eines der neuen Wahrzeichen der polnischen Hauptstadt. Teil jenes Ringes von Wolkenkratzern, der den Kulturpalast aus den 50er-Jahren, Stalins "Geschenk" an die Polen, einrahmen und damit seiner dominant-provokanten Stellung berauben soll.
Als provokant mögen manche Polen auch die neuen Tempel des Kapitalismus empfinden, bei derzeit 18 Prozent Arbeitslosen. Die Preise in den noblen Markenläden haben westliches Niveau, das Durchschnittseinkommen beträgt nur einen Bruchteil jenes in der EU.
Entsprechend dünn gesät sind die Käufer. Ungleich größer ist der Andrang zu den fahrenden Händlern rund um den Kulturpalast oder auf dem "Russenmarkt" stadtauswärts, jenseits der Weichsel.
Während sich hundert Meter vom Finanzzentrum entfernt ein Unterwäsche-Verkäufer von seinen Kundinnen ein paar Zloty herunterhandeln lässt, geht es drinnen um andere Dimensionen. Der silbrig glänzende Turm beherbergt, neben der polnischen Zentrale von Creditanstalt/ Bank Austria und anderen Repräsentanzen ausländischer Unternehmen, auch die Delegation der EU-Kommission.
Die Beitrittsverhandlungen Polens mit der EU haben zwar neuen Schwung erhalten; von den 29 Kapiteln sind inzwischen 22 abgehakt. Aber die wirklich harten Brocken kommen erst: Landwirtschaft, Regionalpolitik, Budget. Selbst wenn der Nizza-Fahrplan eingehalten wird, ist ein Abschluss erst gegen Jahresende zu erwarten, Verzögerungen nicht ausgeschlossen - womit der Beitrittstermin Jänner 2004 stark wackeln würde.
Einen Vorgeschmack auf die Härte im Finale geben Warschaus Reaktionen auf die Vorschläge der EU-Kommisson zur Landwirtschaftsförderung: Danach sollen die polnischen Bauern zunächst nur 25 Prozent und erst nach 13 Jahren die volle Höhe der Direktzahlungen erhalten. Dies wird von Polen als wettbewerbsverzerrend strikt abgelehnt.
Der Agrarbereich ist Polens mit Abstand heikelstes Kapitel: Rund drei von insgesamt knapp 39 Millionen Einwohnern leben ganz oder großteils von der Landwirtschaft. Ein Konzentrationsprozess ist unvermeidlich, mit oder ohne EU. Das räumt auch Vizepremier und Landwirtschaftsminister Jaroslaw Kalinowski ein, Chef der Bauernpartei PSL, des Juniorpartners in der Linksregierung von Leszek Miller. Was aber keinesfalls passieren dürfe: "Dass Polen die Landwirte in der jetzigen EU subventioniert, die dann die polnischen Bauern vom Markt verdrängen."
Was auf den ersten Blick absurd erscheint, hat einen realen Hintergrund: Sofort mit seinem Beitritt muss Polen den vollen Mitgliedsbeitrag ins EU-Budget zahlen. Gleichzeitig läuft es aber Gefahr, wegen Informationsmängeln und Inkompetenz in der staatlichen Verwaltung die Gelder aus den Struktur- und Landwirtschaftsfonds nicht ausnützen zu können, wie John O’Rourke von der EU-Delegation in Warschau erläutert. Ändert sich dies nicht, dann kann die paradoxe Situation eintreten, dass Polen zunächst einmal Nettozahler ist.
Eine Aussicht, die ein Ja beim Referendum (geplant in der zweiten Jahreshälfte 2003) nicht begünstigt. Die Regierung Miller hat ihr Schicksal mit dem Ausgang der Volksabstimmung verknüpft - und signalisiert gleichzeitig Härte in den Finanzverhandlungen mit Brüssel. Könnte ein Abschluss dadurch erleichtert werden, dass man Polen und den anderen Kandidatenländer stärkeres Gewicht im EU-Kovent einräumt, der über die Zukunft der Union berät? Chefverhandler Jan Truszczynski warnt vor Illusionen: "Das ,Feel good‘ wird keine entscheidende Rolle spielen. Am Ende geht es um jeden Euro, so war es immer in der EU. Es wird jedenfalls verdammt schwierig, einen brauchbaren Kompromiss zu finden." (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 19.4.2002)