Genf - Großbritannien hat am Donnerstag Israel aufgefordert, eine internationale Untersuchung seines Vormarsches in das palästinensische Flüchtlingslager Jenin im Norden des Westjordanlandes zuzulassen. Es gebe Beweise dafür, dass Israel in dem Lager "unverhältnismäßig und übertrieben Gewalt" angewendet habe, sagte der britische Außenminister Jack Straw in Genf vor Journalisten und schlug eine Untersuchung durch eine internationale Organisation vor. Er nannte als Beispiel das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Die Palästinenser-Regierung wirft Israel vor, während der Kämpfe in dem Lager ein Massaker an Zivilisten angerichtet und Hunderte Bewohner getötet zu haben. In dem Lager leben 13.000 Menschen. Es sind die Familien der Palästinenser, die im Krieg um die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 heimatlos wurden. Israel hat den Vorwurf zurückgewiesen. Bei den meisten Toten handle es sich um militante Palästinenser, die die Gebäude als Deckung benutzt und vermint hätten. "Israel hat das Recht zur Selbstverteidigung und die Selbsmordattentate haben die Menschen verunsichert. Die Maßnahmen müssen jedoch angemessen sein", sagte Straw. Der israelischen Offensive, in deren Rahmen Jenin besetzt wurde, war im März eine Serie von Selbstmordattentaten vorausgegangen, bei der in Israel mehr als hundert Menschen getötet wurden. Straw sprach vor der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf, die derzeit ihre Jahressitzung abhält. Er ging nicht direkt auf die palästinensischen Vorwürfe ein und nannte auch keine Einzelheiten zu der geforderten Untersuchung. Arabische Staaten fordern, dass sie von den Vereinten Nationen ausgeführt wird. Straw wies darauf hin, dass sein Land eine Entscheidung der Kommission unterstütze, nach der UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson persönlich eine Überprüfung der Menschenrechtssituation in den von Israel besetzten Gebieten leiten solle. Er warnte jedoch davor, dass für die Untersuchung nicht genug Zeit eingeplant sei. Die Kommission hat ihre Delegation beauftragt, ihren Bericht vor dem Ende ihres diesjährigen Treffens am 26. April abzuschließen. Israel hat jedoch noch kein grünes Licht für die Untersuchung gegeben. Der deutsche Oppositions-Politiker Karl Lamers von der CDU hat unterdessen den israelischen Regierungschef Ariel Sharon scharf attackiert. Wenn dieser von der Eliminierung Yasser Arafats spreche, dann sei das Vokabular aus dem "Wörterbuch des Unmenschen". Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion warf Sharon weiter vor, er sei gar nicht an einem palästinensischen Staat interessiert, der diesen Namen verdiene. "Für die Palästinenser soll nur ein Bantustan übrig bleiben, ein Flickenteppich mit unerträglichen Beschränkungen." Lamers betonte, dass er nicht aus einer anti-israelischen Haltung heraus argumentiere. "Im Gegenteil, ich habe aus Sorge um Israel gesprochen." In der israelischen Politik gebe es "eine neue Qualität": "Wir verzeichnen eine Steigerung der Gewalt und des Hasses. Und die Antwort der Israelis auf den Terror gegen die Zivilbevölkerung ist zwar nachvollziehbar, aber falsch. Sie rennen in ihr Verderben." Dabei zögen sie "uns mit hinein". Nach Ansicht von Lamers kann sich Deutschland inzwischen "freier und souveräner" äußern. Die Nachkriegszeit sei aus deutscher Sicht nun endgültig vorbei. Lamers äußerte seine Sharon-Kritik in einem Interview des "Kölner Stadt-Anzeiger" vom Freitag. (APA/Reuters/dpa)