Welt
Thor Heyerdahl ist tot
Der ebenso populäre wie umstrittene "experimentelle Archäologe" erlag seinem langen Krebsleiden
Oslo - Norwegens König Harald V. und Königin Sonja
nehmen an der kirchlichen Beisetzung des vergangene Woche gestorbenen
Entdeckers und Archäologen Thor Heyerdahl teil. Der norwegische Abenteurer, Entdecker und
Völkerkundler Thor Heyerdahl ist am Donnerstagabend im Alter von 87
Jahren in seinem Haus bei Alassio in Italien gestorben. Das teilte
seine Familie mit. Heyerdahl sei friedlich und im Beisein von drei
Kindern und seiner dritten Ehefrau Jacqueline eingeschlafen, erklärte
der älteste Sohn Thor Heyerdahl jr. in Oslo.
Der an einem Hirntumor erkrankte 87-Jährige hatte seit einer Woche
jede weitere ärztliche Behandlung sowie Essen und Trinken verweigert
und den Wunsch geäußert, in seinem Haus an der italienischen
Rivieraküste zu sterben.
Stürmischer Lebensweg
Heyerdahl wurde am 6. Oktober 1914 als Sohn eines Brauerei- und
Landbesitzer geboren. Seine Mutter habe ihm als Kind Bücher über
Anthropologie zu lesen gegeben, erzählte der Wissenschaftler einmal.
1933 schrieb er sich für Zoologie an der Universität Oslo ein, brach
das Studium aber ab, weil er er sich in die praktische
Forschungsarbeit stürzen wollte.
"Wenn Sie mir als 17-Jährigem gesagt hätten, dass ich einmal auf
einem Floß zur See fahre, hätte ich Sie für verrückt erklärt", sagte
Heyerdahl 1990 in einem Interview. Als Kind war er in seiner
norwegischen Geburtsstadt Larvik beinahe ertrunken. Seine Angst vor
dem Wasser konnte er erst mit 22 überwinden, als er auf Tahiti in
einen reißenden Fluss stürzte und selbst ans Ufer schwamm.
Elf Jahre später, 1947, unternahm er an Bord des Balsa-Floßes
"Kon-Tiki" dann die Legende gewordene 6.900 Kilometer lange Reise von Peru nach Tahiti. Er
wollte beweisen, dass Polynesien von Südamerika aus besiedelt worden
war. Inspiriert hatten Heyerdahl Standbilder polynesischer Gottheiten
auf der Insel Fatu Hiva, die ihn an Bildnisse aus der Vor-Inkazeit in
Peru erinnert hatten.
Popularität
Das Experiment war ein Erfolg. Nach 101 Tagen landete er mit
seiner Crew auf einem Riff nahe Tahiti. Wissenschafter erklärten
daraufhin 1961 auf einem Kongress, dass Südamerika und Südostasien
die Ursprungsländer der Polynesier gewesen seien. Mit der "Kon-Tiki"
begründete Heyerdahl die experimentelle Archäologie.
Seine Erlebnisse auf der "Kon-Tiki" und seine Theorien schilderte
er in dem gleichnamigen Buch, das in über 70 Sprachen übersetzt und
mehr als 25 Millionen Mal verkauft wurde. Der 1951 gedrehte
Dokumentarfilm wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.
In den fünfziger Jahren unternahm der norwegische Forscher weniger
spektakuläre Expeditionen auf die Galapagos-Inseln und die
Osterinsel, wo er dem Rätsel der Steinbild-Kolosse auf die Spur
kommen wollte. Die Ergebnisse seiner Reise zur Osterinsel beschrieb
er in dem Buch "Aku-Aku - das Geheimnis der Osterinsel".
"Ra" und "Tigris"
1969 unternahm Heyerdahl einen weiteren Versuch in experimenteller
Archäologie. Um zu beweisen, dass sogar die Ägypter schon
Zentralamerika erreichen konnten, baute er ein Papyrusboot, wie er es
auf Jahrtausende alten ägyptischen Wandgemälden gesehen hatte. Doch
die "Ra" besaß Konstruktionsfehler und zerbrach 960 Kilometer vor
Barbados. Heyerdahl ließ sich davon nicht entmutigen. Ein Jahr später
überquerte er an Bord der "Ra II" den Atlantik in 55 Tagen.
1977 machte Heyerdahl sich mit einem neuen Schilfboot, diesmal
nach sumerischen Plänen gebaut, auf die Reise. Er wollte
herausfinden, wie weit mesopotamische Forscher mit ihren Schiffen
reisen konnten. Fünf Monate lang bereiste er mit seiner
internationalen Crew vom Irak nach Oman, Pakistan und bis an den
Eingang des Roten Meeres. Dort wurde der "Tigris" die Weiterreise
untersagt. Nach 144 Tagen auf See setzte der Forscher sein Boot in
Flammen, "um gegen den Krieg in der Region zu protestieren."
Rüstig auf Reisen
Auch das Alter hielt Heyerdahl nicht von seinen Forschungen ab.
Noch über seinen achtzigsten Geburtstag hinaus studierte der in
dritter Ehe mit der Französin Jacqueline Beer verheiratete Abenteurer
Pyramiden auf Teneriffa und in Amerika. Er glaubte, dass deren
Erbauer in Kontakt mit den Architekten der ägyptischen Pyramiden
standen. Bis kurz vor seinem Tod legte Heyerdahl immer wieder neue
völkerkundliche Theorien vor und versuchte, diese mit abenteuerlichen
Expeditionen zu belegen. Seine Theorien wurden allerdings von
Fachwissenschaftlern überwiegend zurückgewiesen.
Heyerdahl engagierte sich in den vergangenen 20 Jahren außerdem stark für
den Umweltschutz. Der letzte noch
lebende Mitreisende auf der "Kon-Tiki", Knut Haugland (84), meinte zu
der Todesnachricht: "Dieser Mann sollte für alle als Vorbild gelten."
(APA/Reuters)