Zeit
Türkei will Genozid an Armeniern widerlegen
Präsident Sezer: "Ich rufe alle Wissenschaftler dazu auf, sich in den Archiven selbst von den Tatsachen zu überzeugen"
Ankara - Die Türkei will internationalen Wissenschaftlern
ihre Archive über das Schicksal der Armenier im Ersten Weltkrieg
zugänglich machen. Wie Präsident Ahmet Necdet Sezer am Samstag
erklärte, sollen damit Berichte widerlegt werden, wonach Türken in
den letzten Jahren des Osmanischen Reiches einen Völkermord an
Armeniern begangen haben sollen. "Ich rufe alle Wissenschaftler dazu
auf, sich in den Archiven selbst von den Tatsachen zu überzeugen",
lautete die Botschaft Sezers an die Delegierten einer
wissenschaftlichen Konferenz in Ankara zum Thema Völkermord.Zahlen
Armenier machen geltend, dass zwischen 1915 und 1923 bis zu 1,5
Millionen ihrer Landsleute von den Vorfahren der heutigen Türken
ermordet wurden. Die Türkei hat dem stets entgegen gehalten, die
Zahlen seien "maßlos übertrieben", und die meisten der tatsächlich
Getöteten seien bei Unruhen umgekommen.
Wenn auch die Zahlen stark schwanken, gilt der Völkermord an sich international als praktisch unstrittig. Kriegsgerichtsprozesse am Ende des Ersten Weltkriegs hatten zu Verhaftungen geführt, die jedoch nach Ausrufung der türkischen Republik und dem Aufwallen des türkischen Nationalismus unter Atatürk wieder rückgängig gemacht wurden. Danach verschwand das Thema für Jahrzehnte von der Bildfläche, ehe es durch Anschläge von Armeniern auf türkische Diplomaten in den 70er und 80ern wieder auftauchte. 1985 wurde der "Armenische Völkermord" erstmals in einem offiziellen UNO-Papier erwähnt. Seidem befindet sich die Türkei in einem ständigen diplomatischen Abwehrkampf, teilweise mit massivem Druck auf Staaten und Organisationen, die offen vom armenischen Völkermord sprechen.
Tatsachenfrage
"Historische Tatsachen müssen
von Historikern überprüft und erörtert werden", erklärte jetzt auch
Ministerpräsident Bülent Ecevit in einem Brief an die Konferenz in
Ankara. Er verurteilte in diesem Zusammenhang abermals die im vergangenen
Jahr erfolgten Entscheidungen des französischen und des Europäischen
Parlaments, die Vorgänge offiziell als Völkermord an Armeniern zu
bezeichnen.
Der österreichische Autor Franz Werfel (1891-1945) hatte
in seinem berühmten Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" die
systematische Ausrottung der Armenier im Osmanischen Reich
eindrucksvoll beschrieben. (APA/red)