Wien - Der prominente Sprach- und Moralphilosoph Ernst Tugendhat hält zwei Vorträge in Wien. Er kommt aus Brünn, 1930 hineingeboren in ein architektonisch weltberühmtes Haus: Mies van der Rohe hatte der Familie Tugendhat 1929 ein Wohnhaus gebaut: Rationalität, klare Linien, die soziale Utopie der Offenheit. Dann kam das Gegenteil, der Nationalsozialismus, die Familie wurde ins Exil verjagt. Aber die Rationalität des Bauhauses einerseits und die Suche nach einer Ethik gegen Gewalt andererseits bestimmen heute noch das Denken Ernst Tugendhats, u. a. in "Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie" (1976) und "Vorlesungen über Ethik" (1993). Beide hängen zusammen. In Ersterer entwickelte er das Gegenteil zu Heideggers begrifflichem Intuitionismus: Philosophie als Begriffsklärung, Sprachanalytik als Grundlegung einer neuen Ethik. Diese war zerfallen: Wie ist es möglich, universale Verhaltensregeln zu finden, ohne auf religiöse Fundierung zurückzugreifen? Für Ernst Tugendhat ist der Ausgangspunkt auch für Menschenrechte die zweite Fassung von Kants moralischem Imperativ: "Handle so, dass du die Menschheit (...) jederzeit zugleich als Zweck und niemals bloß als Mittel brauchst", und das heißt bei Tugendhat die "Moral der universellen Achtung". (rire/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.04. 2002)