Der aus Barbados stammende Organist, Pianist und Dirigent Wayne Marshall ist ein Reisender zwischen den musikalischen Sphären: Er liebt spätromantische Orgelkonzerte und Hollywoodmusicals.
von Katrin Mackowski
Wien - Seine Worte kommen blitzartig, als wollte er die Welt in einer Sekunde erfassen. Seine Hände sprechen, der Oberkörper vibriert, und zwischendurch immer wieder ein breites Grinsen. Der Mann hat gut lachen. Wayne Marshall ist nämlich einer der wenigen Glücklichen, die die Natur mit verschiedenen Begabungen gesegnet hat.

Farbig sein, das heißt für den 41-jährigen Musiker mit Wurzeln in Barbados, viele Heimaten zu haben. Als einer der größten Organisten Englands ist er in der französischen Spätromantik zu Hause, als Pianist kriecht er bei Gershwin unter, und als Dirigent lebt er in Musicals der 40er- und 50er-Jahre.

Mit Guys and Dolls von Frank Loesser zauberte er am vergangenen Freitag Glamour und Glitter Hollywoods in das Wiener Konzerthaus. Das Radio Symphonieorchester verwandelte sich in eine swingende Bigband, der Kammerchor in einen Pulk von aufgescheuchten Stimmungsmachern - aber es blieb bei einer Aufführung mit eben nur markierten Szenen, Küssen und Tänzen, die namhafte Broadwaystars wie Kim Criswell oder Norm Lewis so gut es ging inszenierten.

Wayne Marshall aber steht zu dem Konzept der konzertanten Musicalaufführung. "Die Musik von Loesser klingt wunderbar und kommt so, wie wir sie bringen, richtig zur Geltung. Ich mag es, wenn man sich hier auf die Musik konzentrieren kann."

Marshall, der seine Ausbildung an der Manchester Cathedral, am Londoner Royal College of Music und sechs Monate lang auch an der Wiener Hochschule absolvierte, hat sich als Musiker des Cross- over längst einen Namen ge-macht. Er kann es sich leisten, abwechselnd nostalgisch, klassisch oder jazzig aufzutreten und die Künste und ihre Formen in Einzelteile zu zerlegen.


Förderer Simon Rattle

Schon früh begegnete er seinem wichtigsten Förderer, Simon Rattle, für den er mit fünfundzwanzig als Repetitor arbeitete. Erfolge beim Glyndebourne Festival oder bei den Bregenzer Festspielen mit Musiktheaterproduktionen wie Porgy und Bess gehören zu den Highlights seiner Karriere. Dazwischen Orgelkonzerte mit Werken von Dupré oder Widor.

"So hin- und herzuswitchen zwischen U- und E-Musik, zwischen meinen verschiedenen Ichs als Musiker, das ist ganz normal für mich. Diese Vielfalt in mir entspricht ja auch den heutigen Hörgewohnheiten. Wer ist schon ein reiner Klassikfan?"

Wayne Marshall war ein so genanntes Wunderkind. Als Dreijähriger korrigiert er die falschen Töne seiner Mutter auf dem Klavier, mit elf fühlt er sich von einem Akkord auf der Orgel gleichzeitig hingezogen und wie erschlagen.

Sein Universum sind die Töne. "Musik ist für mich im Wesentlichen eine Sprache, die ich vermitteln möchte und mit der ich auf Reisen gehe. Dass meine Art, mich darin locker zu bewegen, auch in Wien ankommt, freut mich sehr."

Und dennoch legt Marshall Wert darauf, möglichst seriös und klassisch ins Bild zu kommen. "Bitte fotografieren Sie mich ohne Zigarette", sagt er beim Interview und ist in Gedanken schon auf dem Weg an seinen Lieblingsort - den Flughafen. Wayne Marshall, so sympathisch, so wortgewaltig und offen er einem auch gegenübertritt, ist am liebsten flüchtig. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.04. 2002)