von Ursula Kneiss
Wien - Renato Zanella hat es geschafft. Mit Spartacus, seinem bislang überzeugendsten Handlungsballett, hat er vergangenen Freitag das Publikum der Staatsoper für sich gewinnen können. Der Applaus galt auch seinen künstlerischen Mitarbeitern: der vollzählig auf der Bühne angetretenen 78-köpfigen Kompanie, den Ballettschülern, dem Ausstatter Johan Engels und dem musikalischen Leiter Jun Märkl. Geradezu sanft, die lyrischen Aspekte herauskehrend, dirigiert Märkl die als wuchtig bekannte Musik von Aram Chatschaturjan. Das 1956 in St. Petersburg uraufgeführte Revolutionsballett, das den im ersten vorchristlichen Jahrhundert von Spartacus angeführten Sklavenaufstand gegen die Römer zum Inhalt hat, gelangte erst durch Juri Grigorowitschs 1968 für das Bolschoi-Ballett entstandene, in Wien als Gastspiel 1983 gezeigte Fassung zu Weltruhm. Von Vorbildern hält Zanella aber nichts. Auch wenn er auf die historischen Begebenheiten zurückgreift, geht er seinen eigenen choreografischen Weg, fügt neue Männerrollen hinzu und bewegt vor allem gekonnt die Massen. Und er bedient sich zweierlei Tanzsprachen. Das klassische Schrittvokabular ist den dekadenten Römern vorbehalten; erdverbunden und ganzkörperlich expressiv agiert die Sklavenschar. Johan Engels mobiles Bühnenbild - leicht wirkende Stangengerüste, ramponierte Säulen, versenkbare Podeste - kommt dem häufigen Szenenwechsel entgegen. Dank der raffiniert entworfenen, teils ironisierend wirkenden Fantasiekostüme sind auch beide Gruppen leicht zu unterscheiden. Die ersten beiden der drei Akte spielen in Spartacus' Erinnerung. Wir finden uns in der Gladiatorenschule, wo uns 100 Ballettschüler in strikter Ordnung rhythmisch entgegenschreiten, wechseln über in das üppige Rom, wo man in der Villa des Crassus der Lust freien Lauf lässt, die Sklaven untereinander zu kämpfen haben und Kinder geschändet werden. Das erhitzt die Gemüter, und in Spartacus reift die Rebellion. Rebellion und Liebe Dieses Ballett lebt aber nicht nur von hitzigen Kämpfen, Gewalt, Verschwörung und opulent inszenierter Genusssucht. Es geht auch um zwei Liebesgeschichten, welche die Basis für stimmungsvolle Pas de deux liefern. Boris Nebyla als Spartacus und Simona Noja als dessen Geliebte Phrygia setzen auf Kraft und verspielte Wildheit. Sie ist ihm auch eine tapfere, emanzipierte Mitstreiterin. Nebyla, der zwar seinen Part technisch makellos meistert, fehlt es noch an Gefühl für das Heroische. Den Revoluzzer nimmt man ihm nicht ganz ab. Klassisch elegant und bravourös hingegen geben sich Gregor Hatala als Crassus und Eva Petters als seine Hetäre Aegina. Sie versteht es, auf Spitze trippelnd und mit femininen "Waffen" den Harmodius (Christian Musil) zum Verrat zu verführen. Freilich hätten die Hauptpartien markanter ausfallen können, wäre mehr Variation und ein reicheres Vokabular durchaus wünschenswert. Christian Rovny glänzt als grausamer Sklaventreiber, und Tomislav Petranovic konnte sich als lasziv tanzender und sprunggewaltiger Minotaurus, eine Art Symbol für das immer wiederkehrende Böse, profilieren. Den dritten Akt hat Zanella bewusst als große Show angelegt, ein szenischer Kraftakt, in dem Spartacus zu Fall kommt. Vor Phrygia und Sohn stirbt er den Heldentod am Kreuze. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.04. 2002)