Alexandre Adler, ehemals bei Le Monde, jetzt Herausgeber des Courrier International, rechnete beim Montagsgespräch von Standard und Radio Wien mit dem Schlimmsten. Man werde im ersten Wahldurchgang in Frankreich mit dem starken Abschneiden des Rechtsradikalen Le Pen eine Überraschung erleben. Adlers Begründung: Die Cohabitation, der Staatspräsident ein Gaullist, der Regierungschef ein Sozialist. Diese Art eines Dauerregimes der großen Parteien der Fünften Republik bewirke mehr Ablehnung als Zustimmung: Die beiden Kandidaten hätten ähnliche Programme präsentiert, beide Parteien sind seit vielen Jahren immer wieder in Korruptionsaffären verwickelt. Die Leute hätten genug davon. Also sei Le Pen durchaus eine Alternative. Wie viele andere Kommentatoren in Westeuropa führt Adler auch den Aufstieg Jörg Haiders zum Teil auf die Wiedereinführung der Großen Koalition in Österreich zurück. Und überall dort, wo sich Konservative und Sozialdemokraten die Macht untereinander aufteilten, komme es zu Gewinnen der Populisten. Beispiel: Italien. Insofern war Österreich in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Exerzierfeld für kommende europäische Entwicklungen. Man darf zwei Elemente dieses politischen Dramas nicht vergessen. Das erste: Die Kapitulation des Kommunismus 1989 hat populistisch-extremistischen Linken natürlich keinerlei Chancen gelassen, in die Siegerpose geriet folgerichtig die extreme Rechte. Daraus folgt ein zweites, ein strategisches Argument: Der langjährige CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl hat, um diesen Populismus niederzuhalten, eine große Koalition immer abgelehnt. Weite Kreise der SPD teilen diese Sicht. Was nun Frankreich betrifft, scheint der erste Wahlgang weniger durch den Stimmenzuwachs für Le Pen geprägt zu sein, sondern noch stärker durch die Verluste Lionel Jospins, der bei den Wahlen 1995 nach der ersten Runde noch mit über 23 Prozent geführt hatte. Chirac lag damals bei 20 und Le Pen bei 15 Prozent. Konsequenzen sind zu erwarten: Jospin ist als Ministerpräsident wohl nicht mehr haltbar, die französische Linke muss sich um eine neue Führungsfigur umsehen. Das Wiedererstarken des Front National hat indessen stärkere europäische Folgen. Dass in Ungarn die Rechtsextremisten aus dem Parlament geflogen sind, ehrt die Magyaren, aber der Vorgang hat wegen der Warteposition Ungarns Richtung EU keine besondere Bedeutung. Wichtiger sind die kommenden Wahlen in den Niederlanden, wo eine rechtspopulistische und ausländerfeindliche Partei erstmals die Chance hat, die Stimmenmehrheit zu erobern. Weshalb auch bereits heftige Debatten darüber geführt werden, ob man die strikte Ablehnung des "österreichischen Modells 2000", also einer schwarz-blauen Koalition, werde durchhalten können. Europa geht spannenden Zeiten entgegen. Vor allem deshalb, weil überall dort, wo Rechtspopulisten an der Regierungsverantwortung beteiligt sind, die Regeln der Demokratie umgeschrieben werden. Als erstes sind meistens die Medien dran - durch Versuche, systemkonforme Leute in Spitzenpositionen zu hieven und die Programme den populistischen Zielen anzupassen. Das zweite Exerzierfeld der Wende ist die Justiz der jeweiligen Länder. Und nicht selten wird auch versucht, die wirtschaftliche Struktur für politische Eingriffe herzurichten. 2004 finden die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass es zur Bildung einer breit abgesicherten rechtspopulistischen Liste kommt, die angesichts der weit verbreiteten Ressentiments große Chancen hat, ganz vorne mitzumischen. Wie hier bereits mehrmals argumentiert, könnte Jörg Haider einer der Initiatoren sein. Und Österreich könnte in jene Rolle geraten, die es schon einmal mitgespielt hat: Schauplatz eines Umschwungs in autoritäre Zeiten zu sein. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 22.4.2002)