Im Folgenden eine Auswahl an internationalen Pressestimmen vom Dienstag zur Wahl in Frankreich:In Spanien zieht die linksliberale Zeitung "El Pais" (Madrid) einen Vergleich der ersten Runde in den französischen Präsidentschaftswahlen mit dem Abschneiden der FPÖ bei den Nationalratswahlen vor zwei Jahren in Österreich: "Das Undenkbare ist eingetreten, und die Franzosen fragen sich nach dem Warum. Die Abneigung der französischen Wähler gegenüber ihren Regierungen hat schon früher oft zu einem scharfen Rechts- oder Linksruck geführt. Aber dieses Mal wurde der Rahmen gesprengt. Das gesamte System wurde in Frage gestellt. Ausgerechnet Frankreich, das damals von Österreich Rechenschaft verlangte wegen der Wahl eines blassen Schülers von Le Pen, votierte jetzt für den Lehrmeister. Der Demagoge wird den Test der zweiten Runde nicht bestehen. Dazu müssen die Franzosen allerdings ihre politischen Überzeugungen vergessen und das verteidigen, was sie verbindet. Dies sind die republikanischen Werte der Toleranz und der Freiheit." Der Wahlausgang beschäftigt auch die "Neue Zürcher Zeitung" weiter: "Der überraschende Wahlerfolg Le Pens hat in Frankreich einen Schock ausgelöst, bei Politikern und Medien, aber auch in der breiten Öffentlichkeit. Man nimmt zur Kenntnis, was man nicht wahrhaben wollte: Der Rechtsextremismus, genährt vom Fremdenhass, gedeiht auch in diesem Land, ist ein politischer Faktor, mit dem zu rechnen ist, so gut wie anderswo in Europa, trotz allen Beschwörungen von Republik und Resistance. Auch in dieser Hinsicht gibt es - leider - keine 'exception francaise' mehr. Der Wahlkampf wurde bisher geführt als Schönheitswettbewerb von Technokraten, die das Publikum mit Schlagworten, Leerformeln und Abkürzungen langweilten. Im Publikum machte sich Überdruss breit, der sich in einer außergewöhnlich hohen Stimmenthaltung manifestierte. Mit seinem Wahlerfolg erzwingt Le Pen jetzt neue Bewegung in der französischen Politik. Chiracs Rhetorik kündigt es an: Es geht jetzt um Werte, um Frankreichs Idee". Die konservative britische Zeitung "The Times" schreibt am Dienstag: "Europas beste Antwort auf die Herausforderung der Populisten und der Rechtsextremisten wäre die Entschlossenheit, die Themen abzuarbeiten, die sie aufpäppeln, und die skrupellosen Methoden zu verurteilen, die sie benutzen. Die politischen Führer des Kontinents müssen erklären, warum die wirtschaftliche Liberalisierung und die sie begleitende Offenheit für ein neues Reservoir von Arbeitskräften die beste Hoffnung für eine nationale Renaissance sind. Die Politiker des Kontinents müssen vor allem erkennen, dass in einer Welt des Wandels der Wunsch nach Sicherheit sein sicherstes Ventil im wichtigsten politischen Konstrukt Europas findet, nämlich im liberalen, demokratischen Nationalstaat. Jene Politiker, die sich nicht für eine zivilisierte Verpflichtung gegenüber der Nation einsetzen, könnten zunehmend mit dem hässlichen Nationalismus zu tun bekommen." Die linksliberale britische Zeitung "The Guardian" schreibt zum selben Ereignis: "Frankreichs Wahlergebnis war ein abschreckender Hinweis auf das, was geschehen kann, wenn eine moderne Demokratie den Kontakt zum Volk verliert. Frankreichs Wahlergebnis war zweifellos symptomatisch für einen größeren europäischen Trend hin zur äußersten Rechten. Es war ganz sicher ein Protest gegen Filz und Korruption auf höchster Ebene und gegen die Politik 'as usual'. Es kam einer demütigenden persönlichen Erniedrigung nicht nur Jospins, sondern auch Chiracs - der selbst zu einem 20-Prozent-Mann wurde - gleich. Es war auch ein Alarmzeichen nach dem 11. September für die Beziehungen zur islamischen (und jüdischen) Welt. Aber Frankreichs Wahlergebnis ist nicht unabänderlich und keineswegs das letzte Wort. Dieser Moment des Wahnsinns könnte sich als der notwendige Wegbereiter für eine nüchterne, überfällige und entscheidende Neubewertung von Prioritäten erweisen." Auch in Italien beschäftigen sich die Tageszeitungen weiterhin ausführlich mit Le Pen und dem Wahlergebnis. Die Turiner Tageszeitung "La Stampa" schreibt: "Auf ihrer beliebtesten Achse zwischen Paris und Berlin hat die europäische Politik ein Match mit jahrelangen Folgen erlebt. Das Duell zwischen Chirac und Le Pen hat Frankreich bereits verändert, danach wird Edmund Stoibers Deutschland an der Reihe sein, und dann ganz Europa. Während sich für Chirac fünf Jahre Einfluss auf die Außenpolitik eröffnen, ist die Kanzlerschaft für Stoiber in Reichweite." Die römische Tageszeitung "Il Messaggero": "Es ist wenig beachtet worden, dass die französischen Präsidentschaftswahlen der erste Urnengang in einem großen Land der Union seit der Euro-Einführung sind. Dabei scheinen die Sorgen vor den laufenden Veränderungen ein ziemlich wichtiger Faktor für die Verwirrung der Wähler zu sein, ob in Richtung der extremen Rechten, der extremen Linken, oder sogar der Nichtbeteiligung. Ein erfahrener Politiker wie Präsident Jacques Chirac hat das sofort gemerkt und nach der Wahl einen Appell zur "Verteidigung der Nation" gerichtet." Zum Überraschungsergebnis des ersten Durchgangs der Präsidentschaftswahlen in Frankreich schreibt am Dienstag die russische Zeitung "Iswestija" (Moskau): "Frankreich ist heute, zum ersten Mal nach vielen Jahren, in einer unangenehmen, teilweise auch komischen Situation. Und man kann sich nur schwer vorstellen, dass jetzt noch irgendjemand in Europa demütig französische Rügen und Belehrungen über sich ergehen lassen wird, sei es auf Sitzungen des Europarates in Straßburg oder bei Beratungen der EU-Minister in Brüssel. Der Triumph von Jean-Marie Le Pen hat den politischen Charakter der alten Elite verändert. Europas Anhänger der "allgemeinen menschlichen Werte" haben plötzlich ihren Anführer verloren." Die Moskauer Tageszeitung "Nowyje Iswestija" kommentierte am Dienstag: "Einen Tag nach Hitlers Geburtstag hat die französische Rechte ihren größten Sieg der Nachkriegsgeschichte errungen. (...) Das Land liegt jetzt fast im Koma. (...) Doch mit ihren Stimmen für die Rechte haben sich die Franzosen selbst vor ihrer Courage erschreckt. Das Ergebnis der ersten Abstimmung hat ein wenig den Schleier über der wahren Situation in Frankreich gelüftet. Die Franzosen sind desorientiert. (...) Frankreich als eine der ältesten Demokratien ist jetzt zu grundlegenden Reformen gezwungen." Die russische Armeezeitung "Krasnaja Swesda" (Roter Stern) sieht den Ausgang der ersten Abstimmung der Wahlen in Frankreich als Teil eines europäischen Ganzen: "Der Erfolg Le Pens ist überhaupt kein Witz. Seine mitreißende Rolle sollte nicht ignoriert werden. In ganz Europa ist eine ganze Generation junger Menschen mit rasierten Köpfen herangewachsen. Die Millionen Toten durch die braune Pest im vergangenen Jahrhundert sind für sie nichts. Sie lechzen nach neuen extremen Gefühlen. Sie marschieren und kopieren die Ausfälle von Hitlers Schlägertypen. Ihre Legionen wachsen und erhalten stets neues Blut. Paradoxerweise steht Russland in dieser Richtung auch nicht hinten an. Steht das viel zu sorglose Europa nicht etwa vor der Gefahr einer neuen Welle des Faschismus?" Die linksliberale bulgarische Zeitung "Sega" schreibt am Dienstag über den Wahlerfolg Jean-Marie Le Pens: "Le Pens Erfolg diskreditierte Frankreich unter seinen Partnern in Europa, könnte jedoch auch eine genesende Rolle spielen. Nach Österreich und Italien zeigte die extreme Rechte auch in Frankreich, dass sie wegen der Abnutzung der traditionellen politischen Kräften an Boden gewinnt. In der französischen Linken spricht man bereits über eine Wiedergründung der kommunistischen und der sozialistischen Partei; die Rechte plant jetzt schon eine Formierung, die geeignet für die Ära nach Chirac wäre. (...) Das gespaltene Frankreich findet vielleicht endlich ein gemeinsames Ziel - eine Schranke vor der Offensive der extremen Rechte zu errichten." (APA)