Berlin/Brüssel/Wien - "Wir kommentieren nicht Teilergebnisse von Wahlen in einzelnen Staaten. Das war erst die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich." Zurückhaltend gab sich am Montag der Sprecher der EU- Kommission, Jonathan Faull, zum Wahlgang in Frankreich. Zwischen den offiziellen Ausführungen war aber deutlich die Sorge der Kommission über das Erstarken der Rechtsextremen in einem Kernland der Union spürbar. "Wir haben immer eine Lektion aus Wahlen zu lernen", gestand Faull im Zusammenhang mit Fragen ein, ob es sich dabei auch um ein Versagen bei der Vermittlung des Integrationsgedankens handle. Nun müsse es ein "Extraangebot" geben, um Europa den Bürgern besser zu erklären.Vlaams Blok gratuliert Le Pens Einzug in die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahlen sei nicht nur ein Erdbeben für Frankreich, schloss die belgische Zeitung Le Soir am Montag: "Die faschistische Gefahr besteht in ganz Europa." Auch der rechtspopulistische Vlaams Blok, der Le Pen gratulierte, könne davon profitieren. Sowohl in Belgien als auch in den Niederlanden ist nun die Furcht spürbar, im Sog von Le Pens Wahlerfolg werde auch die fremdenfeindliche Rechte in beiden Ländern noch weiter salonfähig. Louis Michel, Belgiens Außenminister, der stets für die Isolierung rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien in Europa plädiert hat, war am Montag nach den Worten seines Sprechers "so geschockt, dass er sich nicht imstande sieht zu reagieren". Fischer nachdenklich Das Wahlergebnis in Frankreich gibt nach Ansicht des deutschen Außenministers Joschka Fischer (Grüne) "sehr zum Nachdenken Anlass". "Der Anteil an ultrarechten Stimmen ist alarmierend", sagte Fischer in Berlin. Es sei jedoch noch zu früh, über Konsequenzen nachzudenken, sagte der Außenminister. Zunächst müsse der zweite Wahlgang abgewartet werden. Die SPD setzt nach dem ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahl darauf, dass "alle Vernünftigen" eine Wahl Le Pens verhindern. Es dürfe nicht sein, "dass in Europa noch mehr Rechtsaußen und deren Freunde in entscheidende Positionen rutschen", sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Er machte die "Verzettelung" durch die große Zahl von Kandidaten für Le Pens gutes Abschneiden verantwortlich. Ein Sprecher des britischen Premiers Tony Blair sagte, der Regierungschef vertraue darauf, "dass das französische Volk Extremismus jedweder Art ablehnen" wird. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel meinte, dass mit Le Pen ein Kandidat der extremen Rechten an zweiter Stelle liege, sei "weit mehr als ein Schönheitsfehler". Riess-Passer: Ohrfeige Ebenso ablehnend äußerten sich FPÖ, SPÖ und Grüne. Von einer "Ohrfeige" für die Regierenden in Frankreich sprach Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. Ebenso sieht es ihr Klubchef Peter Westenthaler, der aber gleichzeitig den Erfolg Le Pens wegen dessen extremistischer Positionen als "bedenklich" wertete. Der SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Hannes Swoboda, sprach von einem "großen Schock für jeden Europäer". (DER STANDARD Print-Ausgabe, 23.4.2002)