Vor rund drei Jahren, im August 1999, "demontierte" der französische Bauer José Bové ein französisches McDonald's-Restaurant. Die Nachricht mitsamt Bildern ging um die Welt, begleitet von reichlich ambivalenten Gefühlen. Denn die wütende Attacke auf die Globalisierung war nicht nur professionell auf Medienwirkung hin kalkuliert, sondern auch von chauvinistischen, gar nicht sympathischen Emotionen begleitet. "Amerikanisierung" Was hier wie auch in zahllosen anderen Konflikten seit etlichen Jahren unter dem Titel "Amerikanisierung" abgewehrt wird, ist bei genauerer Betrachtung die Kontroverse zwischen einer verschachtelten lokalen Identitätskultur und einer kommerziell profitablen Kulturproduktion zunehmend global agierender Medienkonzerne. Sichtbar wird eine seit Jahren anwachsende politische Polarisierung in Frankreich, die sich insbesondere auf dem Terrain der Kultur immer wieder entlädt, und die nun auch maßgeblich zum "Kataklysmus" (Le Monde) des französischen Wahlergebnisses vom vergangenen Sonntag beigetragen hat. Ein Riss trennt Frankreich mehr und mehr - in eine Hälfte, die für eine offene, pro-europäische, moderne Gesellschaft, für eine Politik der Menschenrechte und der internationalen Einmischung Frankreichs steht, und in eine andere, die das Territorium von Vaterland, Kultur und Identität von verschiedenen Seiten her bedroht sieht, durch Zuwanderung, Verlust an originärer gallischer Kultur und durch eine Einbuße der Grande Nation an traditionellem Ansehen im Inneren wie im Äußeren. Erbe des Gaullismus Nicht alle, die diese Verluste politisch beklagen, stimmen freilich für die Rechtsradikalen um Jean-Marie Le Pen. Vielmehr erstarkte schon seit den Neunzigerjahren, und verkörpert gerade durch Jacques Chirac, auch das Erbe des Gaullismus. Sein Ziel ist, die schmerzlichen Veränderungen der französischen Gesellschaft, die real sind - und, so wie anderswo auch, vorangetrieben werden durch Globalisierung, neue Medien und Kommunikationstechnologien, aber auch durch die europäische Integration - zu bremsen oder gar umzukehren. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es kein Zufall, dass ausgerechnet unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen ein Grundsatzkonflikt um kulturelle Vielfalt und Eigenart ausgebrochen ist, der medial und politisch hohe Wellen schlug, und der sich am größten französischen - und weltweit, nach AOL Time Warner zweitgrößten - Medien- und Kulturkonzern Vivendi Universal und den ehrgeizigen Visionen seines Chefs Jean Marie Messier entzündet hat. Gigantische Selbstinszenierung Messier hat innerhalb weniger Jahre aus einem ehemals staatseigenen Wasser- und Dienstleistungskonzern den Medienriesen Vivendi Universal geschaffen, der heute über die Pay TV Gruppe "Canal+" der wichtigste Finanzier französischer Kinofilme ist, zugleich über eine Schar von Traditionsverlagen rund ein Viertel des französischen Buchmarktes kontrolliert. In den USA wurde mit Universal ein Hollywoodstudio und einer der führenden Musikkonzerne sowie ein Schulbuchkonzern und ein Kabelnetz einverleibt. Das alles auf Schulden und unter immer gigantischeren Selbstinszenierungen von Messier. Zum Skandal wurde die Expansionsgeschichte in den vergangenen Monaten in mehreren Etappen: Erst übersiedelte Messier selbst nach New York und kündigte von dort aus den Franzosen das Bekenntnis zur Sonderstellung - insbesondere französischer - kultureller Güter ("L'exception culturelle") auf. Dann verordnete er, wieder via Presse, dem Fernsehsender "Canal+" innerhalb von nur zwei Jahren rentabel zu werden und drohte bereits mit jenen Kündigungen des Managements, die nun, knapp vor der Wahl, für helle Aufregung und Protestaktionen sorgen. Wiederum stehen "Kultur" und "kulturelle Vielfalt und Eigenart" im Brennpunkt der hoch politischen Auseinandersetzung. Denn die Sonderstellung für kulturelle Güter bezieht sich gerade nicht nur auf die Erhaltung von hunderten französischen Käsesorten, sondern auf jene Traditionen, die für Frankreichs modernen Beitrag zur europäischen Kultur stehen, allen voran den Autorenfilm und die französische Musik, die beide als nationale Kulturindustrien seit den neunziger Jahren - durchwegs von sozialdemokratischen, nicht von rechten Kulturpolitikern - mit starken kulturpolitischen wie auch selbst wirtschafts-protektionistischen Mitteln gegen internationale Konkurrenzen geschützt wurden. Frankreichs Politik verärgert Die Unterstützung der französischen Filmproduktion etwa durch "Canal+" basiert immerhin auf einem Vertrag des Fernsehsenders mit der Republik und auf einem entsprechenden Regierungsdekret, die Bevorzugung französischer Musik wird durch ein System von Quoten für Radiosender geregelt. Jean Marie Messier versucht deshalb nichts weniger, als mit seinem Konzern Vivendi Universal aus diesem kulturpolitischen Netzwerk auszuscheren und von der Höhe globaler Ambitionen ein von nationalen Zwängen unabhängiges Regime einzurichten. Die französische Politik reagierte, nicht zuletzt wegen des Wahlkampfes, verärgert. Sowohl Präsident Jacques Chirac wie auch andere wichtige Wahlkämpfer beeilten sich festzustellen, dass an Vivendis französischen Grundfesten nicht zu rütteln sei. Umgekehrt aber machen gerade diese politischen Interventionen, in Kombination mit dem immensen Schuldenstand, längst auch Finanzanalysten und Aufsichtsräte zunehmend nervös. Die Globalisierungsambitionen mit ihrem enormen Finanzierungsbedarf bringen den Medienkonzern Vivendi Universal in eine gefährliche Zwickmühle zwischen den Anforderungen der Finanzmärkte und den Interessen einer nationalen französischen Kultur- und Identitätspolitik. Insofern ist der Streit exemplarisch, da er ein gesamteuropäisches Dilemma sichtbar macht. (DER STANDARD Print-Ausgabe 23.4.2002)