Es ist ein verheerender Schlag. Ein besonderer Stolz der Franzosen war es immer, die extreme Rechte immer vom Herz der öffentlichen politischen Landschaft fernzuhalten - so wie sie vom gaullistischen Präsidententum institutionalisiert und im Duell des zweiten Wahldurchgangs (dem einzigen, der "wirklich zählt") ritualisiert wurde - dieser Stolz ist zusammengebrochen.Die österreichische Öffentlichkeit kann mit Recht der Meinung sein, Frankreich werde sich in Zukunft hüten, anderen Lektionen zu erteilen. Trotzdem besteht der wesentliche Unterschied zu dem, was sich in Wien und Rom zugetragen hat, darin, dass die Chancen für den Front National, an die Regierung zu kommen, praktisch gleich null sind. Aber dessen Ideen werden in Europa eine verstärkte Resonanz erhalten und vielleicht die "Rechten der Rechten" zu einer Umgruppierung ermutigen, die bislang unwahrscheinlich war. Der 21. April 2002 ist so etwas wie der 11. September in unserem politischen Leben: Schock, Bestürzung, verzweifelte Suche nach Erklärungen, allgemeine Niedergeschlagenheit und Aufruf zur heiligen Union - im Schnelldurchgang kommen nun all jene Gefühle hoch, die durch die Attentate in den Vereinigten Staaten letzten Herbst aufgewühlt worden waren. Von den beiden Türmen die die Landschaft der "Kohabitation" überragten und eine gewisse Stabilität gewährleisteten, ist der eine buchstäblich implodiert, jener des linken Bündnisses, Allianz der Sozialisten, der Ökologen und der Kommunisten, die Lionel Jospin erlaubt hatte 1997 an die Macht zu kommen. Und wenn der andere Turm, jener der so genanten "klassischen" oder bürgerlichen Rechten, stehen geblieben ist, so ist er auch in seinen Grundfesten zutiefst erschüttert. Der Mann, dem dieser aufsehenerregende Coup gelang, Jean-Marie Le Pen, ist sicherlich nicht Osama Bin Laden, wenngleich er schon einen gewissen Hang zum Verbal-Terrorismus hat, um seine Gegner einzuschüchtern, und auch selbst niemals - seit seinen Anfängen während des Algerienkrieges bis zu gewissen Zusammenstößen auf der Straße - davor zurückschreckte, sich auch direkter physischer Argumente zu bedienen. Dennoch: wie am 11. September, so vermochte dieses Geschoß, welches das herrschende System erschütterte, all dessen technische Mängel zu nutzen - im vorliegenden Fall das Zersplittern der Linken und vor allem die Gewissheit, dass "so etwas nicht passieren kann". Es hat der enormen Frustration all jener, die alles in die Luft jagen wollen, einen spektakulären Ausweg gewiesen. Außer einer gelegentlichen Allianz unter diesen Umständen, "um Le Pen den Weg zu versperren", wird es nicht einfach sein, das Vertrauen in die bürgerlichen und republikanischen Werte wieder herzustellen, die tagtäglich mit unleugbarem Talent von den Marionetten der "Kasperlfiguren der Info" ins Lächerliche gezogen werden - ein Prisma, durch das eine Mehrheit der Jugend jetzt das politische Leben unseres Landes betrachtet. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 23.4.2002)