Derzeit kommt es knüppeldick für die deutsche Regierung: SPD und Grüne verloren bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt dramatisch, in der Metallindustrie zeichnen sich Streiks ab, und die höchste Zahl an Pleiten in der Nachkriegszeit ist absehbar. Die Hoffnung auf einen für alle spürbaren kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung rechtzeitig vor der Bundeswahl im Herbst haben am Dienstag die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute zunichte gemacht.

Die SPD setzt nun alles auf eine Karte: auf Gerhard Schröder. Der Bundeskanzler soll im Duell mit seinem Herausforderer Edmund Stoiber den Wahlsieg retten. Schröder hat sich auf diese Zuspitzung bereits festgelegt: "Wollt ihr weiter einen Bundeskanzler Schröder oder Stoiber?", sei die Frage an die Wähler, sagte er nach dem Debakel beim Urnengang in Sachsen-Anhalt.

Der als "Medienkanzler" titulierte deutsche Regierungschef sucht sein Heil in der Fernsehpräsenz. Deshalb sind der Termin und die Form der zwei geplanten TV-Duelle zu einer Staatsangelegenheit geworden: Schröder will eine Ausstrahlung möglichst kurz vor dem Wahltermin am 22. September, Stoiber will nach US-Vorbild drei Wochen Abstand zum Urnengang.

Umstritten ist auch, ob das Duell im Sitzen oder im Stehen ausgetragen wird. Als ob das Gezerre nicht schon peinlich genug wäre, fügte Schröder noch hinzu, er sei auch zu einer Sendung im Liegen bereit. Dazu passt, dass Schröder einen Rechtsstreit darüber vom Zaun gebrochen hat, ob seine Haare nun gefärbt sind oder nicht. Die richterliche Feststellung, die am 17. Mai verkündet wird, wird im Wahlkampf wohl oder übel eine Rolle spielen.

Mit dieser Personalisierung ziehen die SPD-Wahlkämpfer die Konsequenz aus Umfragen, wonach die SPD als Partei deutlich hinter der Union liegt, Schröder im direkten Vergleich mit Stoiber aber ebenso deutlich vor seinem Herausforderer. Diese Strategie hat aber beträchtliche Nachteile. Damit zeigt man, dass außer Schröder in der Partei keine Lichtgestalt ist, die im Wahlkampf besonders herausgestellt werden könnte: Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat sich spätestens mit seinen Badefotos auf Mallorca lächerlich gemacht; Innenminister Otto Schilys Law-and-Order-Kurs ist auch in den eigenen Reihen nicht unumstritten; Finanzminister Hans Eichel hat seinen Nimbus als Sanierer eingebüßt, seit Deutschland wegen des hohen Budgetdefizits nur mit Brachialgewalt einen "blauen Brief" aus Brüssel verhindern konnte. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin ist zu sperrig, die anderen Frauen im Kabinett sind in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Auch das Wahlprogramm, das heute, Mittwoch, vorgestellt wird, ist ganz auf den Kanzlerparteichef zugeschnitten. Es grenzt auch in einer Spaßgesellschaft schon an Wählerverdummung, wenn als Grund, für Schröder zu votieren, im Programm steht: "Er zeigt, dass er das Leben mag." Damit ist die Partei, die früher auf ihre Programmarbeit zu Recht stolz war, zu dem geworden, was die CDU früher war: ein Kanzlerwahlverein. Damit hat sich die Traditionspartei in einem wichtigen Punkt selbst aufgegeben. Ein Aufschrei der Linken gegen diese Mischung aus Kanzlerkult und Inhaltsleere ist bisher ausgeblieben.

Dabei hat die SPD - ebenso die Grünen - ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt: Viele Reformen - vom Steuerrecht über den Atomausstieg bis zum Ausländerrecht und zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensperspektiven - wurden in dieser Legislaturperiode durchgesetzt. Darauf aufbauend ließe sich ein Zukunftsprogramm mit konkreten Vorschlägen formulieren. Damit würden die Sozialdemokraten eine Perspektive anbieten, die ihr Wahlprogramm, in dem Festlegungen vermieden werden, vermissen lässt.

Bisher lautete der Vorwurf der politischen Konkurrenz an Stoiber zu Recht, bei ihm wisse man nicht, wofür er stehe. Gleiches muss sich jetzt eine SPD vorwerfen lassen, die nur auf den Kanzlerkult setzt.

(DER STANDARD, Printausgabe, 24.4.2002)