Montage: derStandard.at
Wenn's darum geht, sich beim Bürger einzuweimperln, nimmt es die Politik mit der Wahrheit nicht immer genau. Ließen sich mit der Behauptung, die Erde ist eine Scheibe, satte Wählermehrheiten in die Scheuer fahren, dann würden die Verfechter eines vorplatonischen Weltbildes unter der politischen Kaste gewiss im Vormarsch sein. So weit ist es noch nicht gekommen. Dafür macht sich im politischen Alltag immer häufiger ein neuer rhetorischer Trick bemerkbar, der als Pendant zur magischen Wirklichkeitsauffassung einer evolutionsgeschichtlichen Frühphase gelten darf, und den wir hier einmal die Kunst der falschen Kausalkette nennen wollen. Er besteht im Wesentlichen darin, ein Ereignis A, das garantiert nicht die Ursache einer Wirkung B war, so zu präsentieren, als hätte B ohne A nie und nimmer sein können. Klingt kompliziert, ist aber in Wahrheit ganz einfach und funktioniert etwa so: Vor ein paar Wochen setzt sich die österreichische Außenministerin ins TV-Studio und kommentiert einen Richtungswandel in der US-Nahostpolitik, der Tage zuvor stattgefunden hat, sinngemäß so, dass sich nun auch Gott sei Dank die Amerikaner der europäischen Auffassung des Nahostkonfliktes angeschlossen hätten. Nun weiß zwar jedermann, dass sich die Regierung Bush in ihrer Auffassung des Nahostkonflikts von der europäischen Auffassung des Nahostkonflikts ähnlich beeindrucken lässt wie vom Umstand, dass in Brüssel ein Sack Pommes frites umgefallen sein könnte. In der Präsentation Ferrero-Waldners freilich erscheint der Sachverhalt auf eine Art, als würde das Weiße Haus jede seiner Entscheidungen zuerst einmal mit der EU ausverhandeln. Das hat, weil wir ja auch in der EU sind, den angenehmen Nebeneffekt, dass ein schöner warmer Abglanz der Macht auf das österreichische Außenministerium und seine Entscheidungsträger fällt. Frau Ferrero ist nicht die Einzige, die die Kunst beherrscht, aparte Kausalketten zu winden. Tony Blair - um ein Beispiel von vielen zu nennen - verfügt über die einzigartige Gabe, politische Kehrtwendungen in Washington im Vorfeld zu wittern und Stunden, bevor George Bush einen Kurswechsel ankündigt, ebendiesen Kurswechsel lauthals für gut zu befinden. So entsteht beim britischen Bürger die Illusion, es würde in London erdacht, was in Washington ausgeführt wird. Schmeichelhaft, aber nicht recht der Wahrheit entsprechend. Keine Ursache, große Wirkungen! Auch der Aufreger dieser Tage, der Aufstieg von Jean-Marie Le Pen, wurde schon ins Ferrero-Waldnersche Weltbild eingepasst. Am Montag teilte uns die Außenministerin im TV mit, dieses Wahlergebnis sei "auch ein verspäteter Denkzettel für die französische Haltung während der EU-Sanktionen gegen Österreich." Und: "Das ist eine Absage an die Österreich-Sanktionen." Vor allem das auch ist gut! Natürlich ist nicht auszuschließen, dass irgendein Franzose, sagen wir einmal im lieblichen Tarascon in der Camargue oder im lauschigen Saint Malo in der Bretagne, in einem sonntagvormittäglichen Pastisrausch just deshalb für Le Pen votiert hat, weil ihm die Sanktionen, die Chirac anno 2000 gegen Schwarz-Blau verhängt hat, schon seit Jahren stagelgrün aufgelegen sind. Freilich sollte man das Reservoir dieser Protestwähler nicht überschätzen. Wenn etwa vier bis sieben Franzosen den Gram über die Sanktionen gegen Österreich zu ihrem entscheidungsleitenden Wahlkriterium gemacht haben sollten, dann wäre das wahrscheinlich schon hoch gegriffen. Unter diesem Aspekt betrachtet, nimmt man die Erörterungen der Außenministerin doch mit einem gewissen Verdruss zur Kenntnis, weil man sich für einen Topkoffer gehalten fühlt, der sich unter Chevènement einen französischen Landwein vorstellt und unter Jospin einen Camembert. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Mittelfristig ist noch Zeit, sich seine eigene Theorie über Ursache und Wirkungen im europäischen Sanktionsgeschehen zu bilden und diese an geeigneter Stelle per Denkzettel kundzutun. In eineinhalb Jahren heißt es auch in Österreich: Aux urnes, citoyens! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.4.2002)