Europa
Ungarische Lektionen für Frankreich
Budapester Politologe: Negative Wahlkampagne war positiv für die Demokratie
Wien - Die von den beiden
großen Blöcken betriebene
Mobilisierung und Polarisierung der ungarischen Wähler
hat zu einer Rekordbeteiligung geführt; damit verringerte sich der Anteil der rechts_extremen "Lebens- und Wahr-heitspartei" (MIÉP) von István
Csurka an der Gesamtstimmenzahl, wodurch die Partei
den Wiedereinzug ins Parlament verpasste. "Eine negative Kampagne hat also etwas
Positives für die Demokratie
gebracht", sagte der Polito-
loge Sándor Kurtán von der
Budapester Wirtschafts- und
Verwaltungsuniversität am
Dienstagabend im Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut in Wien.
In der Diskussion drängte
sich der Vergleich mit
den französischen Präsidentschaftswahlen geradezu auf.
Dort profitierte der Rechts_extreme Jean-Marie Le Pen
von weitgehend austauschbaren Programmen des bürgerlichen und des linken Spitzenkandidaten und entsprechender Lustlosigkeit breiter gemäßigter Wählerschichten.
Gemäß der Analyse Kurtáns
verlief die Polarisierung in
den beiden Durchgängen der
ungarischen Parlamentswahlen unter wechselnden Vorzeichen. Im ersten Wahlgang
hätten die oppositionellen Sozialisten (MSZP) eine negative
Kampagne gegen die national-konservative Regierung geführt und Premier Viktor
Orbán ein gefährliches Spiel
mit Demokratie und Rechtsstaat vorgeworfen. Wegen der
für ihn günstigen Umfragedaten sei Orbán vom Erfolg der
Linken völlig überrascht worden. Seine Reaktion: Umschwenken von der Positivkampagne im ersten Durchgang (Hinweis auf Wirtschaftserfolge, emotionale Betonung von Heimat, Nation,
Familie) auf "Angstmache und
Flüsterpropaganda" (Warnung vor Rückkehr des Kommunismus und Machtübernahme des Großkapitals).
Auf diese Mobilisierungskampagne vor allem in der
Provinz war laut Kurtán wiederum die Linke nicht vorbereitet. Sie habe schließlich mit
einer "Kampagne des Friedens" reagiert und, dank des
sicheren liberalen Koalitionspartners, knapp gewonnen.
Letztlich habe Orbán nicht aus
inhaltlichen, sondern aus taktischen Gründen verloren -
weil er nicht von Anfang an
"negativ" gefahren sei.
Die Spaltung des Landes infolge der starken Polarisierung
im Wahlkampf hält der Budapester Politologe für eher
künstlich als real: Sie entspreche nicht den sozialen Grundstrukturen, beide großen Parteienblöcke hätten Anhänger
in allen gesellschaftlichen
Schichten, weshalb er auch
nicht von Lagern sprechen
wolle. Ob Péter Medgyessy,
wie angekündigt, ein Regierungschef für alle zehn Millionen Ungarn sein werde,
werde man unter anderem an
der Personalpolitik in der
Verwaltung sehen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 25. 4.2002)