"Oh wie ist das Leben schön, wie ist der Himmel blau", trällerte Le Pen am Sonntagabend im kleinen Kreis, als die ersten Hochrechnungen den Sensationserfolg des Front-National-Präsidenten vorwegnahmen. Nach außen hin gibt er sich nicht minder geläutert: Seine Fans begrüßte er im Wahlkampf letzthin meist mit dem buddhistischen Gruß - leichtem Kopfneigen und gefalteten Händen.

Ist das der Geiferer vom Dienst, der Kriegsfolterer, der rassistische Hetzer, der gegnerischen Politikerinnen ins Gesicht schlägt und den Holocaust "ein Detail der Geschichte" nennt? Le Pen präsentiert sich derzeit in neuer Verpackung, aber an seinen Rattenfängerthesen (Einwanderungsverbot, Todesstrafe) ändert er kein Jota. "Er ist der einzige Politiker, der sagt, was er denkt", erklärte einer seiner fast fünf Millionen Wähler sein Umschwenken von den Kommunisten auf den FN.

Der 73-jährige Rechtsextremist ist ebenso echt wie berechnend. Er bringt seine Überzeugungen mit Kalkül. Dort liegt wohl sein Erfolgsgeheimnis - und seine Schwäche. Die beiden Seiten kommen sich immer wieder in die Quere - Le Pens Werdegang ist daher von Höhen und Tiefen gezeichnet. Der bretonische Fischersohn begann mit einem Steilstart: Er wurde 1956 mit 27 Jahren auf der Liste des Kleingewerblers Pierre Poujade zum jüngsten Parlamentsabgeordneten Frankreichs. Dessen Programm war aber zu seicht für einen Haudegen, der mit einem Ehemaligen der Waffen-SS politische Schallplatten herausgab. Le Pen sprang ab und verschwand von der Bildfläche. Er hielt sich materiell kaum über Wasser und meldete sich zum Kriegsdienst in Algerien.

Erst Jahre später kam er in den Reihen des neofaschistischen "Ordre Nouveau" wieder hoch. Aus dieser Vereinigung heraus gründete er - machthungrig, wie er schon damals war - "seinen" Front National. Zehn Jahre lang agierte er ohne Erfolg; er hielt auch Parteiveranstaltungen ab, wenn nur ein einziger Besucher kam.

Auf und ab

Bemerkbar machte er sich politisch erst, nachdem ihm ein reicher Industrieller Millionen vermacht hatte. 1981 sackte er wieder in die Versenkung, weil seine Thesen im damals "roten" Frankreich nicht verfingen. Le Pen war am Boden. Statt aufzugeben, sattelte der Gesinnungstäter um, eignete sich soziale und antiamerikanische Linksthesen an, spielte sich als Märtyrer auf und bot sich als Fürsprecher der Armen, Arbeitslosen und Habenichtse an - obwohl er noch heute der mit Abstand reichste der französischen Spitzenpolitiker ist.

Gleichzeitig entdeckte er die Wirkung der Massenmedien und platzierte sich mit gezielten Verbalprovokationen antisemitischer oder rassistischer Machart in den Schlagzeilen und auf den Bildschirmen. Jetzt kam das Charisma und Rednertalent des Großmauls erst richtig zum Tragen.

Bei den Präsidentschaftswahlen 1988 schaffte Le Pen einen ersten Durchbruch mit 14,5 Prozent; 1995 doppelte er mit 15 Prozent nach. Und wieder macht ihm die Überzeugung einen Schnitt durchs Kalkül. Der 70-Jährige stolperte fast über seine Führermission, weil er neben sich nicht einmal einen Schatten duldete und sich mit seinem Vasallen Bruno Mégret überwarf, der dem FN prompt den Rücken kehrte.

"Lieber krepieren als mit einem Verräter tafeln", trotzte Le Pen, während viele FN-Kader und sogar seine Tochter Marie-Caroline Mégret ins Exil folgten. 1999 schien Le Pen am Ende; um politisch zu überleben, musste er sogar für seine Partei Geld betteln gehen. Aber Le Pen feierte am letzten Sonntag zum fünften Mal in seiner langen Karriere Wiederauferstehung.

Nur Le Pen spürte die Unrast im einfachen Volk, fachte ihre Sorgen und Ängste - vor Kriminalität, Globalisierung, Arbeitslosigkeit - an. In den Pariser Machtzentren achtete niemand darauf. Le Pen war der Einzige, der felsenfest an seine Mission glaubt. Für die Stichwahl in zehn Tagen kündigt er eine "noch größere Überraschung als im ersten Wahlgang" an.(DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 25.4.2002)