Der März des Jahres 1938 ist ein denkwürdiger Zeitpunkt, um heimzukehren nach Österreich, in ein Kärntner Dorf. Vor allem für einen wie Oskar Voxlauer. In noch jugendlichem Alter wurde er in die österreich-ungarische Armee einberufen, kämpfte in den Schlachten am Isonzo, desertierte, um nach endlosen Wanderungen und Verirrungen, gleich einem Candide des frühen 20. Jahrhunderts, als naiver Kommunist in der Ukraine zu enden - am Hof einer verwitweten Bäuerin. Nun kehrt Voxlauer zurück nach Niessen - 20 Jahre nach seiner Abreise, als ein leicht verbitterter und ziemlich eigenbrötlerischer Mann, der die Politik hinter sich lassen möchte. Er quartiert sich in einer Berghütte ein, weit oberhalb des Dorfes. Sein einziger Freund, Paul Ryslavy, ein wohlhabender Grundbesitzer und Jude, hat sie ihm vermittelt. Menschliche Gesellschaft schätzt er ohnehin nicht sehr, von seiner Familie ist nur seine Mutter übrig, der Vater, ein angesehener Komponist, hat während seiner Abwesenheit Selbstmord verübt. Die rechte Hand des Schlafes ist ein denkwürdiges Buch. Vor allem für einen Autor wie John Wray. Es drängt sich die Frage auf, warum ein rund 30-jähriger Amerikaner für sein Debüt gerade Österreich kurz vor und nach dem Anschluss als Schauplatz wählt. Zum einen lässt sie sich biografisch beantworten: Wrays Mutter ist Österreicherin, viele Sommermonate seiner Kindheit hat er selbst in Kärnten verbracht. Seine Kenntnis des Landes rührt wohl daher, aber er hat auch viel in Geschichtsbüchern recherchiert. Geschrieben hat er den Roman in einer schwierigen Phase seines Lebens, in einer feuchten Kellerwohnung, hat Wray in einem Interview gesagt. Die Distanz, der Blick von außen sind in sein Buch eingegangen, stets spürbar; die Sprache wirkt in ihrer lyrischen Beschwörung der Schönheit der Natur, aber auch in den bewusst mit Patina versehenen Dialogen immer ein wenig anachronistisch. Dabei geht es Wray anscheinend um kein Spiel mit Verstellungen; er meint es mit seiner Prosa ernst, vertraut sich gewissermaßen der Vergangenheit an. Dass Voxlauer für das Leben eines Eremiten nicht geschaffen ist, macht Wray bald klar. Dafür ist er zu impulsiv und nimmt trotz allem zu viel Anteil an seiner Umwelt. Das Dasein einer Gruppe von Nudisten, die sich am Berg ganz der Natur ausliefern, bleibt ihm fremd; die Nationalsozialisten, die sich immer lauter bemerkbar machen, sind ihm zuwider - weniger aus dezidiert politischen Gründen, als deshalb, weil Voxlauer in ihnen eine neuerliche Bedrohung erkennt. Denn letztlich geht es in Die rechte Hand des Schlafes um die Suche nach Frieden, um ein Einverständnis des Menschen mit seiner historischen Situation. Als sich Voxlauer in Else verliebt, die so wie er zurückgezogen am Berg lebt, glaubt er dieser inneren Ruhe nahe gekommen zu sein. Die Idylle währt allerdings nicht lange, denn ihr Cousin Kurt Bauer, mit dem sie mehr als eine gemeinsame Kindheit verbindet, ist Obersturmbandführer der SS. Bauer ist der eigentliche Antagonist des Buches. So wie Voxlauers Vergangenheit als reportagehafter Bericht in erster Person in den ersten Teil des Buches einmontiert ist, wird im zweiten Bauers Verwicklung in das Attentat auf Engelbert Dollfuß als Augenzeugenprotokoll aufgerollt. Obgleich die unterschiedlichen ideologischen Prägungen gleichsam psychologisch gefiltert sind, gelingen Wray in der Gegenüberstellung von Voxlauer und Bauer die eindringlichsten Passagen des Romans. Beide sind unter das Rad der Geschichte gekommen, beide mussten töten, um zu überleben. Wray geht es dabei weniger um Fragen nach Schuld oder Mittäterschaft, als darum, widersprüchliche Erfahrungen mit Politik zu veranschaulichen, die für seine Protagonisten entscheidend waren - und die sie einander näher bringen, als sie wahrhaben wollen. Dabei entgeht Wray der Gefahr, zwischen den beiden einen fragwürdigen Waffenstillstand auszuverhandeln: Sie umkreisen sich in stockenden Gesprächen, provozieren sich gegenseitig, öfters bahnt sich die Gewalt ihren Weg. Als Ryslavy schließlich zum Opfer von antisemitischen Übergriffen wird, findet sich auch zwischen Voxlauer und Bauer keine Basis mehr. Am Berg hallt es vom Tal wie ein Echo wider. Wray macht deutlich, dass es zu gewissen Zeiten keine Flucht vor der Geschichte gibt. Auch wenn der letzte Satz für Voxlauer und Else etwas anderes zu hoffen lässt: "Sie wussten, dass der Krieg näher kam, aber es war ihnen gleichgültig." (Von Dominik Kamalzadeh - Album, 27.04.2002)