Bernstein war in der antiken Welt, bei Griechen und Römern, eine begehrte Handelsware. Von der Ostseeküste fand das goldgelbe, versteinerte Koniferenharz schon in vorgeschichtlicher Zeit nach Süd- und Westeuropa. Der römische Geograph Plinius berief sich bei seinen Angaben, woher der edle Stoff komme, auf griechische Vorgänger, als er eine "Insel Baltia" fern im Norden als Herkunftsland angab. Das Wort blieb im mittelalterlichen "Mare Balticum" (englisch heißt die Ostsee noch heute Baltic), in der erst in moderner Zeit üblich gewordenen Bezeichnung der Bevölkerung als Balten und der Region als Baltikum erhalten.Heute versteht man unter den baltischen Ländern die drei 1917/20 gegründeten selbständigen und 1990/91 wiedererstandenen unabhängigen Staaten Estland, Lettland, und Litauen. Das ist der politische Begriff. Die Sprachwissenschafter schränken das Baltische auf zwei Völker ein: Litauer und Letten. Ihre Sprachen bilden eine eigene, kleine Gruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie, zu der fast alle Sprachen Europas, des Iran und Nordindiens gehören. Die Esten (und die fast verschwundenen Liven) hingegen, nahe Verwandte der Finnen, gehören zu Europas ganz wenigen sprachlichen Ausnahmen: sie sind (wie auch die Magyaren) die europäischen Vertreter der finnisch-ugrischen Sprachengruppe.
Die Sprachen der Litauer und Letten haben sehr altertümliche Formen bewahrt, aus deren Wörtern und Grammatik sich die Verwandtschaft mit Latein und sogar mit dem altindischen Sanskrit belegen lässt. Als diese Hirtennomaden, deren Stärke darin bestand, dass sie das Pferd zum Reit- und Zugtier gezähmt hatten, zur Ostseeküste vorstießen, war das kein menschenleerer Raum. Schon nach dem Ende der Eiszeit hatten, das belegen archäologische Funde, sich hier Menschen angesiedelt. Wer diese "Alteuropäer" waren, wird für die Wissenschaft ein Rätsel bleiben.
Die baltischen Stämme ließen sich um 3000 v. Chr. im Raum zwischen Weichselmündung und Rigaer Meerbusen - und vorerst noch weit nach Osten, bis in den Moskauer Raum ausgreifend (das lassen viele Flussnamen vermuten) nieder. Die Ankunft der Esten nördlich davon ist ungewiss, aber eher später zu datieren. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich bis zum frühen Mittelalter - nach Abzug der Goten und anderer Germanenvölker und dem Vordringen slawischer Stämme in den baltischen und estnisch-finnischen Raum - fünf baltische Völker herausgebildet: die Prussen oder Pruzzen (die später, als durch den Deutschen Orden Unterworfene, dem Land Preußen ihren Namen hinterließen), die Litauer, sowie Kuren, Semgallen und Letten im Gebiet des heutigen Lettland. Im Norden, am Südufer des Finnischen Meerbusens, saßen die Esten. Die ihnen verwandten Liven nördlich der Düna wurden schon im Mittelalter von den Letten weitgehend assimiliert.
Während nahezu ganz Europa um das Jahr 1000 bereits christianisiert war, blieben die Balten ihrem alten Götterglauben noch treu. In ihren zahlreichen Unterstämmen hatte sich bereits eine Kastenordnung gebildet, an deren Spitze Priester und - vor allem für den Krieg - Kuingas (das aus dem Germanischen entlehnte Wort für Könige) standen.
Noch hatten sie zu keiner übergeordneten Einheit gefunden, als Schweden, Dänen, die Fürsten von Nowgorod, Polen und vor allem der Deutsche Ritterorden die Balten bedrängten. So konnten sich zwar die Kuren in harten Kämpfen noch der Wikinger und Schweden erwehren, aber als die deutschen Kreuzritter auf Einladung des Polenkönigs nach Misserfolgen im Heiligen Land und in Siebenbürgen hier auf europäischem Boden einen Kreuzzug gegen die heidnischen Prussen begannen, konnten sie das Land gegen zwar tapfere, aber zersplitterte Gegenwehr Stück für Stück unterwerfen (1231 bis 1288).
Der Eroberungskrieg wurde oft zum Ausrottungsfeldzug, und was von den Prussen übrig blieb, ging in den Massen der herbeigerufenen deutschen Siedler unter. Ende des 16. Jahrhunderts starben im ostpreußischen Samland die letzten ihrer Sprache noch mächtigen Prussen; nur ihr Name lebte - im Staat Preußen - weiter. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27./28. 4. 2002)