Aus der Euphorie der großen Entkolonialisierungsphase der 60er Jahre stammen die optimistischen Prognosen, noch im 20 Jahrhundert werde eine der neuentstehenden afrikanischen Nationen den Fußball-Weltmeister stellen. Wie wir nunmehr sagen können, hat sich diese optimistische und wohl auch etwas naive Einschätzung nicht bewahrheitet. Afrika hat in der Struktur der globalen Fußballökonomie den Status des Talentereservoirs noch nicht überwinden können. Ist die Abwanderung der besten Spieler (vorwiegend nach Europa) Ausdruck kolonialer Kontinuität?
Der Ethnologe Kurt Wachter definiert die Anfänge des Fußball in Afrika als ihrem Charakter nach kulturimperialistisch. Er wurde in erster Linie von britischen Kolonisten verbreitet und gespielt. Bereits drei Jahre nach Gründung der englischen Football Association (FA) wurde 1866 das erste Spiel auf afrikanischem Boden ausgetragen, 1892 in Südafrika eine eigener Verband organisiert. 1899 tourte eine aus Farbigen zusammengestellte Mannschaft im "Mutterland" - die Resultate waren erwartungsgemäß bescheiden. In Südafrika verfestigte sich schon damals die Differenzierung zwischen den elitären (und somit "weißen") Spielen Rugby und Cricket und dem proletarischen Fußball, den bald auch Schwarze und Inder spielten.
Zivilisierung und kulturelle Transformation
In Westafrika war die Ausgangslage ganz ähnlich. An der Gold Coast, dem späteren Ghana, entstand 1903 der erste Klub, der in der Folge mit Exhibitions Fußball auf dem flachen Land verbreitete. Bald kamen die Europäer auf die Idee, Mannschaftssportarten (und hier in erster Linie Fußball) als Vehikel zur kulturellen Transformation der indigenen Bevölkerung einzusetzen. Über die Vermittlung von Werten wie Disziplin, Kameradschaft oder Fairness hoffte man, eine gewisse "Zivilisierung" des afrikanischen Wesens erreichen zu können. Umgesetzt wurde dieses, an christlichen Werten orientierte, Ideal von Persönlichkeitsbildung in erster Linie an Missionsschulen und deren Kombination von Erziehung und Sport. "Sportsmanship" stand im viktorianischen England hoch im Kurs und galt als kulturelle Errungenschaft ersten Rangs. Im Colonial Office etwa, war "Team Spirit" ein explizites Qualifikationskriterium für angehende Beamte. Viele von ihnen konnten in ihrer Biografie auf sportliche Erfolge verweisen.
1889 erhielt mit Arthur Wharton (1865 - 1930) der erste Afrikaner einen Profivertrag bei einem englischen Verein (Rotherham). Unter anderem war er auch beim damals vermutlich besten Team des Landes (und somit wohl der Welt), Preston North End engagiert. Der auch "Othello" genannte Wharton, entpuppte sich als sportliches Multitalent, spielte erfolgreich Cricket und stellte im Sprint über 100 Yards einen nationalen Rekord auf, der Jahrzehnte lang halten sollte. Er starb verarmt und wurde bald vergessen.
Ende der 1920er Jahre erfuhr Fußball in Afrika einen Popularisierungsschub, und entzog sich langsam der Kontrolle der Weißen: Afrikanische Eliten begannen sich in seiner Organisation zu engagieren. Bald bildeten sich Verbindungen zwischen "unabhängigen Vereinen" und den sich entwickelnden protonationalen Strömungen heraus. In Nigeria verbot der Verband daher Missionsschülern in solchen Klubs zu spielen. Die Aneignung des Fußballs durch die Afrikaner, analog zu anderen gesellschaftlichen Bereichen, war nach 1945 jedoch nicht mehr aufzuhalten. Die Entwicklung in französischen Kolonien West- und Nordafrikas verlief ähnlich, unterschied sich jedoch in einem wesentlichen Punkt. Fußball war in Frankreich im Unterschied zu England, wo er als etwas mit dem britischen Nationalcharakter untrennbar Verwobenes angesehen wurde, weit weniger mit kulturellen Überfrachtungen belastet. Die Integration von afrikanischen Spielern im metropolitanen Spielgeschehen war daher viel leichter möglich. (1938 waren bereits rund 150 afrikanische Kicker, vorwiegend aus dem Maghreb, in den französischen Ligen vertreten.)
Postkoloniale Entwicklung
In der postkolonialen Phase diente Fußball folgerichtig als durchaus relevanter Stabilisator der entstandenen fragilen jungen Nationen. 1957 wurde der Kontinentalverband Conféderation Africaine de Football (CAF) gegründet und für die neuen Staaten war eine Aufnahme in die Föderation oder gar in die FIFA beinahe so wichtig wie die Mitgliedschaft in der UNO. Als sich Südafrika weigerte ein "gemischtes Team", bestehend aus Schwarzen und Weißen, zum Afrika-Cup zu entsenden, wurde das Land kurzer Hand vom Bewerb ausgeschlossen.
Die Emanzipation des afrikanischen Fußballs wurde sportpolitisch allerdings erst verspätet wahrgenommen. Ab 1956 durften algerische Vereine am französischen Cup teilnehmen, trauriger Höhepunkt dabei war wohl die Erschießung des algerischen Fußball-Präsidenten von Gegnern der Unabhängigkeitsbewegung. Bis 1970 wurde dem Kontinent jedoch kein Fixplatz für die Teilnahme an WM-Endrunden zugestanden. Um den einzigen freien Platz musste man sich mit den asiatischen Vertretern streiten. Erst als sich ein gewisser Widerstand gegen die europäische und südamerikanische Dominanz bildete und mehrere Staaten mit Boykott drohten, lenkte die FIFA schließlich ein.
Strukturelle Probleme der Gegenwart
Die zunehmende Europäisierung des afrikanischen Fußballs brachte zahlreiche gravierende Probleme mit sich, wie etwa Konflikte um Gagen und Prämien. Viele Nationalmannschaften bildeten ihre Teams vorwiegend aus Legionären (und die spielen mittlerweile auch eher für den Verdienst, als für die Ehre der Nation), "lokale Spieler" wurden hingegen immer weniger berücksichtigt. Mit wenigen Ausnahmen (Ägypten, Tunesien, Südafrika) gibt es bis heute kaum funktionierende Profiligen. Es fehlt insbesonders die finanzielle Infrastruktur, die es den Vereinen ermöglichen würde, mit Europäern mitzuhalten. So werden außer im Maghreb etwa keine Fernsehgelder gezahlt. Erfolgsgeschichten gibt es nur vereinzelt: Dem Klub Asec Mimosa (Elfenbeinküste) gelang es dank potenter Sponsoren und eines erfolgreichen Managements, sich in die kontinentale Elite zu spielen, was der Gewinn der afrikanischen Champions League bewies.
In der südafrikanischen Liga kann im Gegensatz zu anderen Ländern ein Abwandern von jungen Talenten durch entsprechend hohe Gehälter verhindert werden, eine Tatsache, die es korrupten Spielervermittlern zumindest erschwert, aus den Wünschen vieler, eine Karriere in einer europäischen Profiliga zu machen, Kapital zu schlagen. Nicht selten werden junge Afrikaner von solchen Agenten in den vermeintlich "goldenen Westen" gelockt, um dann, im Stich gelassen, als "Illegale" zu enden. Während in unseren Breiten zur "Erhöhung des Spaßfaktors", wie es ein Vorstandsmitglied des 1. FC Kaiserslautern ausdrückte, nach farbigen Spielern Ausschau gehalten wird (dabei sei auf die Verpflichtung des durch seine besonders bunte Haarpracht auffälligen Taribo West verwiesen), kämpft Afrika noch heute um die vollständige Anerkennung als Mitglied des Weltfußballs.
Als Beispiel dafür sei die Vergabe der WM-Endrunde 2006 an Deutschland erwähnt. Mitbewerber Südafrika hatte, obwohl selbst von FIFA-Präsident Blatter favorisiert, nicht den Zuschlag erhalten. Die unrühmliche Fall des Charles Dempsey, Präsident des Fußball-Verbandes Ozeaniens (OFC), dem nach Bestechungsvorwürfen die Misere schlussendlich in die Schuhe geschoben wurde, war nur ein Beispiel der zahlreichen Intrigen rund um die Vergabe dieser Weltmeisterschaft. Ob eine mögliche Wahl des Kameruners Issa Hayatou zum FIFA-Präsidenten zukünftig eine Besserung der Stellung des afrikanischen Fußballs bewirken kann, bleibt abzuwarten... .(rob/hon)
Kurt Wachter ist Ethnologe und arbeitet am Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit (VIDC). Seit 1997 koordiniert er die antirassistische Sportkampagne "FairPlay. Viele Farben. Ein Spiel".