Inland
Benes-Dekrete: Ferrero-Waldner von tschechischem Beschluss enttäuscht
Muss vor EU-Beitritt gelöst sein - Jeder Österreicher soll künftig auch "guter Europäer" sein
Wien - Außenministerin Benita Ferrero-Waldner sieht als
eines der Hauptziele der österreichischen Außenpolitik, dass in
Zukunft jeder Österreicher sich sowohl als ein "guter Österreicher
als auch ein guter Europäer" ansehen soll. Eine erweiterte
Europäische Union muss voll handlungsfähig sein, hier erinnerte die
Ministerin an den Konvent. Was früher im Kleinen praktiziert worden
sei, wie zum Beispiel die Nachbarschaftspolitik, muss für eine
regionale Parterschaft zum Ziel gemacht werden. Einleitend in dem ORF-Radiointerview im Rahmen der Samstag-Serie
"Im Journal zu Gast" zeigte sich die Ministerin über den jüngsten
Beschluss des tschechischen Parlaments betreffend die Benes-Dekrete
enttäuscht. Insbesondere bedauerte sie das Festhalten Tschechiens an
den Beschlüssen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Vertreibung von
Deutschen und Ungarn aus den Gebieten des heutigen Tschechien und der
Slowakei geführt hätten. Das Thema müsse noch vor dem EU-Beitritt
fertig verhandelt sein. Eine besondere Enttäuschung war für sie, dass
das tschechische Parlament nicht auf das Amnestiegesetz von 1946 über
die Straffreiheit von Taten im Zuge der Vertreibung eingegangen sei.
Dies werde ein Problem für die Europäische Kommission sein. Dieses
liege schon lange auf dem Tisch und werde neu ausverhandelt werden
müssen.
Über die Möglichkeit einer Art Versöhnungserklärung nach dem
Vorbild Deutschlands und Tschechiens befragt, sagte Ferrero-Waldner,
die Situation in Österreich und Deutschland sei nicht dieselbe. Denn
Österreich sei nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Sie
könne sich aber auch eine Erklärung des österreichischen Parlaments
vorstellen, in der festgehalten werde, dass die Vertreibungen eine
Folge des Zweiten Weltkrieges und der Naziherrschaft gewesen seien.
Wichtige Fragen mit FPÖ abgearbeitet
Zu den Vetodrohungen des Regierungspartners sagte die
Außenministerin, bisher seien wichtige Fragen abgearbeitet worden.
Auch in schwierigen Fragen wie Temelin und Benes-Dekrete, rechne sie
mit Lösungen. Dabei erinnerte sie an das Problem der
Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU, wo die österreichischen
Medien nicht immer den österreichischen Standpunkt unterstützt
hätten. Hier sei Österreich in einer besonderen Situation, da es als
einziges EU-Land an vier Beitrittswerber grenze und in geographischer
Nähe von anderen liege. Durch die Festlegung, dass erst nach sieben
Jahren für Arbeitnehmer der Beitrittswerber Freizügigkeit herrschen
würde, konnten viele Ängste der österreichischen Bevölkerung genommen
werden.
Ferrero-Waldner steht für eine, wie sie sagte, "positive
Außenpolitik, eine Politik der EU-Erweiterung unter Berücksichtigung
österreichischer Interessen". Die Chancen Österreichs würden
erweitert, aber nur dann, wenn bestimmte Fragen in Verhandlungen so
gelöst würden, dass sie für Österreich gut erscheinen. Es wäre
falsch, für die eigene Bevölkerung Lösungen zu suchen, die dann
scheel angesehen würden. Das gelte zum Beispiel auch für die
Transitproblematik.
Ministerin Ferrero-Waldner erinnerte an die bevorstehenden
Donauraum-Konferenz in Wien, bei der es um Probleme der sozialen und
wirtschaftlichen Stabilität im Donauraum geht. Negative Reaktionen
auf betreffende Initiativen Österreichs sehe sie mit "Gelassenheit".
Denn es gehe dabei um Zusammenarbeit, da sonst die betroffenen und
interessierten Länder alleine dastünden. Österreich werde weiter am
konkreten Konzept der Zusammenarbeit festhalten. "Es geht um
gemeinsame Interessen, vor allem um die Zukunft Europas."
"Sanktionen am allermeisten gespürt"
Zum Ausgang der ersten Runde der französischen
Präsidentschaftswahlen und ihrer Bemerkung über einen "Denkzettel für
die antiösterreichischen Sanktionen", sagte Ferrero-Waldner, sie habe
diese Sanktionen am allermeisten gespürt, und sie sei es auch
gewesen, die das Meiste getan habe, um diese Sanktionen wegzubringen.
Inhaltlich gesehen sei es bei der Wahlrunde in Frankreich um
mangelnde Sicherheit und zu schnelle Integration gegangen - Probleme,
die nur auf europäischer Ebene zu lösen seien und die auch in allen
europäischen Ländern diskutiert und angegangen würden.
Für die Zukunft sieht die Ministerin folgende Vision: "Jeder Staat
bleibt erhalten, doch die EU als Gebilde sui generis wird stärker
zusammenwachsen - mit einer starken Kommission, einem Europaparlament
mit stärkerer Mitsprache in der Außen- und Sicherheits-, aber auch in
der Justizpolitik." Ein starkes Europa solle sich gegenüber den USA,
Russland und China abheben.
Kuntzl: Worthülsen statt ambitionierter Außenpolitik
"Außenministerin Ferrero-Waldner sollte ihren schönen
Worten über die EU-Erweiterung auch schöne Taten folgen lassen und
der Anti-EU-Politik ihres Koalitionspartners eine klare Absage
erteilen", erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl
hinsichtlich Ferrero-Waldners Interview in der ORF-Hörfunksendung "Im
Journal zu Gast" am Samstag gegenüber dem SPÖ-Pressedienst. "Man kann
sich die EU-Erweiterung nicht auf die Fahnen schreiben, ohne eine
Politik zu verfolgen, die diese auch möglich macht. Ferrero-Waldner
liefert bloß Worthülsen", stellte Kuntzl in Bezug auf die Haltung der
Außenministerin etwa in der Frage der Benes-Dekrete fest. Auch
entspreche es keinesfalls einer "ernstzunehmenden Außenpolitik", wenn
man hinsichtlich des Präsidentenwahl-Ergebnisses in Frankreich
"Schadenfreude" zeige.
"Die Haltung Ferrero-Waldners bei der EU-Erweiterung ist
unglaubwürdig", konstatierte die SPÖ-Bundesgeschäftsführerin. Die
Ministerin lege zwar großen Wert auf "plakative Stehsätze" wie "Ich
stehe voll hinter der Erweiterung". In der politischen Praxis zeige
sie jedoch "keinerlei Ambition", diese auch den ÖsterreicherInnen als
notwendig und gewinnbringend näher zu bringen. Stattdessen habe
Ferrero-Waldner und ihre Partei "die Mitte verlassen" und rede der
EU-feindlichen Politik der FPÖ das Wort, so Kuntzl.
Das französische Wahlergebnis als "Denkzettel für die Sanktionen" zu
bezeichnen, komme "völlig unangebrachter Schadenfreude" gleich,
betonte Kuntzl. "Aufgrund dieser Haltung der Außenministerin stellt
sich aber auch die Frage, ob die ÖVP den Kanzlermacher Haider und den
ausgewiesenen Rassisten Le Pen als in politischer Hinsicht identisch
ansieht", so die SPÖ-Bundesgeschäftsführerin abschließend. (APA)