Düsseldorf - In mehrfacher Hinsicht belegt nach Meinung des Direktors des Europäischen Medieninstituts , Prof. Dr. Jo Groebel, der grausame Amoklauf des Schülers am Erfurter Gymnasium am vergangenen Freitag eine Globalisierung der Gewaltkultur, die nun auch Deutschland erreicht hat. In Erfurt hat nach Groebels Ansicht "eine erwiesenermaßen hochbrisante Mischung aus Frustration, Waffenfaszination und ständigem Konsum von Gewaltmedien" den Jugendlichen zu seiner Gewalttat getrieben. Der Medienprofessor sieht sich in seinen Schlussfolgerungen von Ergebnissen eigener jüngst vorgelegter Forschung bestätigt: Ende der neunziger Jahre hatte er für die UNESCO die größte international vergleichende Studie zur Mediengewalt mit Befragungen von insgesamt 5.000 Kindern und Jugendlichen in 25 Ländern durchgeführt. Zudem hat Groebel mit Mitarbeitern seines Instituts vor wenigen Wochen eine Studie zum Thema "Gewalt im Internet" vorgelegt. Gewalt als Kult Für den Experten ist eine hohe Korrespondenz zwischen Teilen der Jugendkultur und einer globalisierten Gewaltkultur offensichtlich und zeichnet sich durch fünf "Belohnungsfaktoren" aus: Zunächst bekämen viele vor allem männliche Jugendliche nur noch durch extreme Reize den vielbeschworenen "Kick", eine als angenehm empfundene physiologischen Erregung. Zweitens versprächen Medienvorbilder mit sieghaften Helden einen hohen Status in der Gesellschaft. Weiters gelte Gewalt zunehmend als angemessenes Mittel im Sinne eines Ventils für Ärger und zur Problemverarbeitung. Viertens werde in den Gewaltmedien der Anschein vermittelt, mit einer Waffe in der Hand könne man die Gewalt und Macht ausüben, die einem sonst abgeht. Als besonders problematisch und vergleichsweise neu in der Debatte bezeichnete Groebel den fünften Belohnungsfaktor, nämlich dass Gewalt Kult ist: "Sie gilt als wirklich 'hipp', und um real oder virtuell dazuzugehören, muss man Gewalt mindestens als soziale Haltung befürworten". Speziell diese Haltung ist nach Ansicht des Direktors des Europäischen Medieninstituts mittlerweile zu einem beachtlichen Bestandteil der globalen Jugendkultur geworden. Abnahme des Mitgefühls Die Wissenschaft würde mindestens drei Wirkungen dieser Faktoren belgen: Gewalt erscheint den Jugendlichen durch die selbstverständliche Präsentation in den Medien als normal, wird von ihnen durch ihre Häufigkeit für die Realität überschätzt und gilt deshalb für sie als naheliegende Handlungsoption. Die Gewöhnung an extreme Formen der Gewalt führt zu einer Abnahme des Mitgefühls mit den Opfern - und schließlich wird durch die mangelnde Trennung zwischen Realität und Fiktion langfristig das Welt- und Menschenbild vieler Jugendlicher verändert. (APA)