Kognitive Dissonanz unter den Kolumnisten des "Kurier". Auf Seite 1 wird Finanzminister Grassers Auftritt in der "Pressestunde" richtigerweise als eine geschleckte Wähler- und Steuerzahlerverhohnepipelung ironisiert: Danke, liebe Steuerzahler, dass ihr euch das Fell über die Ohren ziehen lasst. Auf Seite 2 hingegen wird Karl-Heinz Grasser als das nette Gesicht der Freiheitlichen Partei und künftige politische Führungsreserve gefeiert.

Man hätte gedacht, dass konservativ-bürgerliche Wendefreunde in der Lage wären, eine Wirtschaftspolitik richtig zu benennen, die erstens kaum etwas an den Strukturen verbessert und zweitens mit ihren Steuererhöhungen die eigene Klientel zielsicher dort trifft, wo es wirklich weh tut. Aber so mancher Bürgerlicher zahlt offenbar gern (mehr), solange er nur nicht wieder die "roten Gfrieser" an der Regierung sieht (wobei ehrlicherweise anzumerken ist, dass die Steuerpläne von Rot-Grün um keinen Deut erfreulicher für den Mittelstand wären als die von Grasser. Der will die Grund-, Schenkungs- und Erbschaftssteuern erhöhen, und Gusenbauers ökonomische Berater wollen das auch beziehungsweise die Vermögenssteuer wieder einführen).

Allerdings stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass diese Koalition nach den nächsten Wahlen weitermachen kann. Schwarz-Blau wird von der Mehrheit nicht besonders geschätzt, aber es ist auch keine breite Welle für eine Abwahl festzustellen. Schwarz-Blau wird von einer knappen Mehrheit derzeit toleriert, und der rot-grünen Opposition ist es nicht gelungen, ein Gefühl des "It's time for a change" zu erzeugen. Auch wenn Rot-Grün manchmal in den Umfragen gemeinsam eine knappe Mehrheit hat, so ist das doch überwiegend Flugsand, und derzeit muss man davon ausgehen, dass Schwarz-Blau 2003 wieder eine Mehrheit zustande bringt, wenn wahrscheinlich auch auf niedrigerem Niveau.

Ist das die Schuld von SPÖ-Chef Gusenbauer? Der Gruß unter alten Sozialdemokraten lautet derzeit nicht "Freundschaft!", sondern "Kann der Gusi des?". Der Eindruck lässt sich schwer vertreiben, dass er zu wenig präsent ist und hinter ihm keine Schwergewichte existieren. Selbst wenn es richtig ist, dass eher eine Regierung abgewählt, als eine Opposition an die Regierung gewählt wird, so muss doch eine ernsthafte und attraktive Alternative sichtbar sein.

Das aber ist derzeit nicht der Fall. Die SPÖ steht etwas diffus für ein Rollback der tatsächlichen und angeblichen sozialen Härten, die die schwarz-blaue Koalition durchgezogen hat. Sie steht auch, schon etwas schwächer, für den Kampf gegen die autoritären und fremdenfeindlichen Tendenzen, die besonders die FPÖ in die Regierungspolitik brachte. Das reicht aber nicht, weil es im Wesentlichen ein Anti-Programm ist, nicht aber ein umfassendes Konzept. Wobei das heute vielleicht auch gar nicht möglich ist, siehe Frankreich, demnächst vielleicht auch Deutschland.

Wenn die Opposition nicht den notwendigen Schwung für einen neuerlichen Wechsel aufbringt, dann wird eben Schwarz-Blau faute de mieux weiterregieren. Viel Positives ist da allerdings nicht zu erwarten. Es war ja immer ein Irrglaube, die notwendigen Reformen ließen sich mit einer nationalpopulistischen Partei wie der FPÖ bewerkstelligen. Von ihr ist hauptsächlich ständiger Krawall zu erwarten. Die Volkspartei begnügt sich damit, ihre geborgte Macht abzusichern und ein etwas konservativeres Klima herzustellen. Das ist wenig für eine große "Wende". Aber so wie es derzeit aussieht, geht das in die Verlängerung. mailto:hans.rauscher@derStandard.at