Nahost
Amnesty äußert Verdacht auf Kriegsverbrechen in Jenin
Körperbehinderter Mann von Israelis getötet - Unabhängige Kommission gefordert
Berlin - In dem palästinensischen Flüchtlingslager
Jenin sind nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty
International (ai) möglicherweise Kriegsverbrechen begangen worden.
Es bestehe "ein starker Verdacht darauf, dass humanitäres Völkerrecht
verletzt worden ist, und auch dass Kriegsverbrechen begangen worden
seien", sagte Dawid Bartelt, der Sprecher von Amnesty Deutschland, am
Dienstag im Deutschlandfunk. So sei vom Tod eines körperbehinderten
Mannes berichtet worden, den die Verwandten nicht mehr rechtzeitig
vor den israelischen Bulldozern aus dem Haus hätten tragen können. "Die Fakten muss eine unabhängige Kommission bestätigen", sagte
Bartelt. Amnesty befasse sich auch mit Menschenrechtsverletzungen der
Palästinenser, betone der Sprecher. Auf die Frage, ob es in Jenin ein
Massaker gegeben habe, wie Palästinenser dies der israelischen Armee
vorwerfen, sagte Bartelt: "Massaker ist kein juristischer
verwendbarer Terminus, auch stark emotional aufgeladen. Amnesty wird
mit diesem Begriff allein aus diesem Grund nicht arbeiten können."
Die Organisation stütze sich nur auf internationales Recht.
Ben-Eliezer weist Vorwürfe zurück
Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer hat die
palästinensischen Vorwürfe, in Jenin seien zahlreiche Zivilisten
getötet worden, als Lüge zurückgewiesen. Es seien nicht mehr als 50
Menschen getötet worden, davon hätten alle bis auf drei Uniform und
Waffen getragen, hatte Ben-Eliezer gesagt.
Eine Delegation der Vereinten Nationen soll die Vorwürfe
untersuchen. Nachdem Israels Regierung der Entsendung zunächst
zugestimmt hatte, erhob sie später Einwände gegen Zusammensetzung und
Mandat. So hat Israel gefordert, der Delegation müssten auch Militär-
und Anti-Terror-Experten angehören, und sie müsse sich auch mit der
Rolle Jenins als Stützpunkt palästinensischer Selbstmordattentäter
befassen. Die Abreise der drei Mitglieder der Delegation war
daraufhin verschoben worden, zurzeit warten sie in Genf auf eine
Einigung zwischen Israel und der UNO.
"Zahl der Toten noch nicht feststllbar"
Die Amnesty-Delegation, die noch bis Dienstag in der Region sei,
beschäftige sich mit Menschenrechtsverletzungen beider Seiten, sagte
der Sprecher. Sie habe auch Opfer palästinensischer
Selbstmordattentate getroffen. "Es bricht internationales Recht, wenn
Zivilisten ermordet werden, gleich aus welchem Grund, gleich auf
welcher Seite."
Zu den Vorgängen in Jenin sagte Bartelt weiter: "Die Zahl der
Toten ist derzeit noch nicht feststellbar." Einem Gerichtsmediziner
der Organisation sei bei der ersten Reise einer Delegation vor zwei
Wochen aufgefallen, dass es kaum Schwerverletzte gegeben habe. "Man
geht normalerweise davon aus, dass auf einen Toten auch drei
Schwerverletzte bei solcher Art von Konflikten kommen. Es gibt
sicherlich noch eine Menge Leichen unter den Trümmern." Zu den
Vorgängen in Jenin habe die Organisation dort zunächst nur
Palästinenser befragt, sagte der Sprecher. Die israelische Position
sei über Armeesprecher allgemein bekannt. (APA/Reuters)