von Stefan Ender
Bühne
"Spielen Sie, dass Sie tot sind, bitte!"
Wie "Die Piraten von Penzance" nach langem Ringen vor ihrer Volksopern-Premiere stehen
An der Wiener Volksoper hat am kommenden Samstag die Gilbert-&-Sullivan-Operette "Die Piraten von Penzance" Premiere. Diese ist eigentlich nur das hoffentlich glückliche Finale eines langen Ringens um praktikable und originelle Ideen.
Eine Probenreportage
von Stefan Ender
Wien - "Hey, Mann, spielen Sie, dass Sie tot sind, bitte!" Der etwas spröden Akkuratesse im Tonfall des Regisseurs Matthias Schönfeldt mischt sich ein minütlich anwachsendes Quantum an Unmut und Ungeduld bei. In der szenischen Probe arrangiert der Deutsche ein Kampfgetümmel, zeigt den Choristen vor, wie das Gegenüber bedroht zu werden hat: "Kucken Sie ihn böse an, und sagen Sie, Sie würden ihn jetzt lynchen."
Dass es auf der Bühne der Wiener Volksoper knüppeldick zu- und hergeht, hat seinen Ursprung in einem Gespräch, welches im Herbst 1999 in einem volksopernnahen Kaffeehaus geführt wurde. Direktor Dominique Mentha, sein Stellvertreter, Otto Hochreiter sowie Volker Klotz, Koryphäe auf dem Gebiet der Operettenforschung, sitzen zusammen und gebären die Idee eines fünfteiligen Operettenzyklus zum Jahr der Euroeinführung. Ein knappes Jahr später steht Matthias Schönfeldt als einer der Regisseure fest - es soll ein Werk des britischen Entertainment-Power-Couples Gilbert & Sullivan sein, man einigt sich auf
Die Piraten von Penzance.
Ein Schiffchen . . .
Wo Piraten sind, muss auch ein Schiff sein, klar. Bühnenbildner Bert Neumann hat die Bühne in eine gigantische Glitzerbox verwandelt. Disco-und Revuetheaterassoziationen sollen wach werden, waren Gilbert & Sullivan doch im späten 19. Jahrhundert die Unterhaltungsregenten der Insel. Die Bühne diagonal querend, hat Neumann einen 15 Meter langen Einmaster hingeklatscht: "Ick wollte einfach 'n richtiges Schiff haben!"
Doch das Schiff hat seine Tücken; es hat sich als gleichermaßen zu groß und zu klein erwiesen. Zu groß, weil es drei Viertel der Bühne verdeckt und so unbespielbar macht. Zu klein, weil sich auf ihm doch etwa 20 Piraten tummeln müssen. Aber "Probe" ist nur eine euphemistische Bezeichnung für permanente Problemstellung und -bewältigung. Zwei bis drei Monate vor der Premiere beginnen die Chorproben sowie die Einstudierung der Partien. Sechs Wochen vor dem Tag X trifft sich das Team zu einem Konzeptionsgespräch: der erste offizielle Probentag.
Es folgten Textproben, szenischen Proben, Stellproben auf der Bühne, technischen Proben, Beleuchtungsproben, Orchesteralleinproben. In der Endphase gibt es eine Hand voll Bühnenorchesterproben. Bei zwei Klavierhauptproben sollen dann alle Inszenierungsaspekte miteinander "verschmolzen" werden.
"Text, Text, Text!" Musikleiter William Boughton hat die Bühnenorchesterprobe unterbrochen und den Chor an die Rampe beordert, um ihm wieder das Mantra des Chorgesangs vorzubeten. Zu unengagiert agiere man ihm zudem noch: "You're artists! Perform!" Was zuvor noch "soft" gesungen werden sollte, muss jetzt "crispy" sein. Die Stimmung im Zuschauerraum ist locker. Solisten, die Pause haben, schlendern herein, schauen Kollegen zu, blödeln. Sehr oft sitzt auch Chefdramaturgin Birgit Meyer in einem der Sitze. Wenn, wie bei den
Piraten
,
das Produktionsteam von außerhalb kommt, ist sie die Schnittstelle zwischen diesem und der Leitung des Hauses. Bei kleineren und größeren Problemen muss sie beraten, Entscheidungen fällen. Ein Regieeinfall zu Beginn des Stücks - sosehr er als Idee überzeugte - hat sich in der Praxis als allzu unverständlich herausgestellt. Soll sie, muss sie beim Regisseur auf eine Änderung drängen? Einige Choristen hätten barfuß auftreten sollen - zu kalt! Einige Sängerinnen hätten Bikinis tragen sollen - zu knapp geschnitten! Ob sich Kostümfrau Barbara Aigner nichts anderes vorstellen kann?
Als "Sklave der Pflicht" beschreibt sich Frederic, der Protagonist der
Piraten.
Als Sklaven des Premierentermins könnten das Produktionsteam, die Mitwirkenden und die Angestellten der Volksoper bezeichnet werden. Werden die Tausenden Stunden Vorbereitung ausreichend, die Hunderten Entscheidungen richtig gewesen sein?
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 5. 2002)
von Stefan Ender