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Die Art und Weise, wie Le Pen geschlagen wurde, war beeindruckend. Medien, politische Klasse und Intellektuelle mobilisierten noch einmal jene revolutionäre Erzählung, die seit 1789 wirksam ist: das Vaterland ist in Gefahr. Die Mobilisierung war erfolgreich; die hohe Wahlbeteiligung verhinderte, dass der französische Spezialist fürs politisch Grobe die 20% Marke überschritt. Seine Nationale Front ist zudem ein politisches Auslaufmodell. Gut denkbar, dass raffiniertere Versionen des Rechtspopulismus mit einem höheren Zuspruch rechnen können: in Frankreich und in ganz Europa. Die Erfolge des Pim Fortuyn, der sein xenophobes Projekt mit der Verteidigung liberaler westlicher Werte kaschiert (die durch die fremde Kultur etwa des Islam gefährdet seien), geben dafür ein anschauliches Beispiel. Kein Grund zur Häme So könnte der Sieg Chiracs, dieser “Triumph der Demokratie”, wie ihn Blair und Schröder feiern, den Blick auf die Krise verstellen, die hinter dem beachtlichen Erfolg Le Pens steht. Machen wir uns nichts vor: in nahezu jedem europäischen Land, das Vereinigte Königreich eingeschlossen, in dem die British National Party im nordenglischen Burnley zeitgleich mit Le Pens politischen Erfolgen bei 18% der Stimmen landete, sind Erfolge von rechtpopulistischen und rechtsextremen Parteien in der Größenordnung von 15 bis 30 % prinzipiell denkbar. Die zunehmend europäische Wahrnehmung des Rechtspopulismus macht jenen hämischen Strategien, die aus dem Hinweis auf den jeweils politischen anfälligen Nachbarn Kapital schlagen wollen, einen Strich durch die Rechnung. Die Erscheinungsformen der neuen Rechten am Rande und jenseits der demokratischen Spielregeln unterscheiden sich entsprechend den politischen Traditionen, historischen Strukturen und kulturellen Mentalitäten; ihre Ursachen sind hingegen ähnlich. Das tiefsitzende Misstrauen gegen die jeweiligen etablierten Eliten, der Mangel an politischen Alternativen, die geschickte mediale Inszenierung des Tabubruchs durch die Haider, Le Pen und Fortyn sind die am häufigsten genannten Gründe. Unsichtbare Erosionsprozesse sind in Gang gekommen, die es wahrscheinlich machen, dass wir mit weiteren dramatischen politischen Ereignissen zu rechnen haben. Selbstredend würde die Austreibung der Ausländer keines der gravierenden sozialen Probleme lösen: weder die Arbeitslosigkeit noch die zunehmende Kriminalität im öffentlichen Raum, weder die wachsende soziale Ungleichheit noch die Unterminierung der sozialen Infrastrukturen. Die Wut auf den Fremden, die nichts ändert und doch Aggression frei setzt, hat handfeste wirtschaftliche und kulturelle Ursachen. Könnte es nicht sein, dass der Fremde, der Einwanderer, der Sündenbock eben jener Entwicklung ist, die wir gemeinhin unter dem Stichwort der Globalisierung verhandeln? In diesem Sinn scheint auch der renommierte peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa den unerwarteten Aufstieg der neuen “Arturo Uis”(Brecht) zu sehen. Vargas Llosa tut dies mit dem dezidierten Hinweis auf das Versagen der europäischen Linken. Das ist richtig und falsch zugleich, richtig, weil offenkundig die Linke von vielen Arbeitern und “kleinen Leuten” schon seit längerem nicht mehr als ihre privilegierten Interessensvertreter wahrgenommen wird; irreführend, weil Vargas Llosa die Ansicht vertritt, die Abneigung der Linken gegen- fairerweise muss man sagen- bestimmte Aspekte der Globalisierung leiste dem Rechtspopulismus, den er zu Recht als kulturalistische Abwehrbewegung versteht, Vorschub. Aber verhält es sich nicht gerade umgekehrt? Denn weil die Sozialdemokratie, wie wohl auch Eric Brian und Elisabeth Nemeth zugeben werden (KdA vom 4.5.), keine genuin “linke” Antwort auf Globalisierung und Neoliberalismus findet, treibt sie die potentiellen sozialen, ökonomischen und kulturellen Verlierer von “Modernisierung” und “Flexibilisierung” in die Arme demokratisch äuβerst prekärer Parteien und Bewegungen. Während auch die politisch Korrekten abgewirtschaftete städtische Areale verlassen, treffen gesellschaftlich verwaiste Verlierer, Emigranten wie „Einheimische“, dort feindselig aufeinander. Re-Ideologisierung vs. Globalisierung In seiner ganzen Logik bedeutet Neoliberalismus den Auszug der Politik aus Gesellschaft und Wirtschaft. Hinter der “Politikverdrossenheit” steht eine gewisse Sehnsucht nach Politik, die Rahmenbedingungen setzt, Solidarität sicherstellt und die Erhaltung von Infrastrukturen- von der Post bis zur Allgemeinbildung- nicht unter das Kuratel kurzfristiger Kosten-Nutzen-Rechnungen stellt. Eine gewisse Re-Ideologisierung scheint als Antwort auf die Ideologie des Marktes unabdingbar. Das gilt nicht bloβ für Sozial- und Linksdemokraten, sondern auch für Konservative und Christdemokraten. Welches sind Werte, die unveräußerlich sind, damit Gesellschaft tragfähig bleibt und Solidarität unter neuen Bedingung möglich wird? Neu ist die europäische Dimension, die auch in den französischen Präsidentschaftswahlen zum Ausdruck kommt. Nicht nur wird wenigstens in Ansätzen so etwas wie eine europäische Medialität sichtbar, die politisch symbolische Orte wie Burnley, Orange, die Banlieus von Paris, Wien-Simmering und Rotterdam in einem kulturellen und politischen Raum verortet, sondern Europa wird zum einzigen Bezugspunkt einer möglichen politischen Überwindung jener Krise, deren politisches Symptom der Rechtpopulismus und –extremismus darstellt. Eine politische Antwort auf die Globalisierung kann nur gelingen, wenn sie Teil einer europäischen Option ist, die die sozial und kulturell zerstörerischen Dimensionen der Globalisierung bricht. Schließlich wurde das „Projekt“ Europa nicht zuletzt deshalb in die Welt gesetzt, um den Katastrophen jenes europäischen Nationalismus zu entgehen, dessen prekäre Erben Le Pen und Haider sind, ebenso wie zuvor Hitler und Mussolini. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. Mai 2002) Der Autor ist Kulturphilosoph und Essayist und lehrt derzeit an der Universität von Birmingham, U.K. R Der Autor ist Kulturphilosoph und Essayist und lehrt derzeit an der Universität von Birmingham, U.K.