Grölende Neo-Nazis auf den Plätzen von Wien sind, so widerlich sie auch sein mögen, nicht das wirkliche Problem. Sondern das Einsickern von deutschnationalen, burschenschaftlichen, gerade noch den Anschein von Wiederbetätigung vermeidenden, letztlich aber in den Gedankenwelt des NS-Regimes verhafteten Kadern ins Zentrum der Republik. Was bisher am Rande der politischen Institutionen wirkte, wenn auch, wie etwa in den Bundesländern ziemlich stark, rückt nun ins Zentrum der Macht. Die Verantwortung dafür trägt die Führung der ÖVP.

Kristallisationspunkt ist der 8. Mai, der Tag der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands. Auf der Basis des tausendfach abgesicherten Wissens über das Dritte Reich ist es für intelligente Menschen und echte Demokraten unmöglich, ausgerechnet am 8. Mai sich als trauernde Hinterbliebene dieses größten Verbrecherregimes der Geschichte zu geben.

Genau das tun aber Leute, die als wichtige Funktionäre der FPÖ an Schlüsselstellen des Staates sitzen. Der Abgeordnete Wolfgang Jung ist hoher Geheimdienstoffizier des Bundesheeres, der Abgeordnete Martin Graf für die FPÖ mit der Universitätsreform beschäftigt. Sie behaupten, an diesem Tag ganz allgemein "die Toten" des Zweiten Weltkrieges zu betrauern. Ihr Hintergrund als Mitglieder äußerst rechts stehender schlagender Burschenschaften, ihre Sprache (Jung: "Natürlich war das eine totale Niederlage") und der Kontext ihrer ganzen politischen Sozialisierung machen aber klar, dass dies nur Schutzbehauptungen sind. In Wahrheit betrauern diese Mitglieder einer Partei, die die Hälfte der österreichischen Bundesregierung stellt, den Untergang des Großdeutschen Reiches und der entsprechenden "Volksgemeinschaft" (Jung: "Ich glaube nicht an die österreichische Nation. Ich bin abstammungsmäßig Deutscher"). Der Abgeordnete Martin Graf ist sogar ganz offen dafür, nationalsozialistische Wiederbetätigung nicht mehr unter gesetzliches Verbot zu stellen.

Diese Leute wollen also am 8. Mai in der Krypta des Denkmals am Heldenplatz trauern.

Dass sie das Recht dazu haben, machten soeben ihre schlagenden Bundesbrüder und Mit-Regierer Haider, Stadler, Waneck und Haupt in einem offenen Brief klar. Verteidigungsminister Scheibner wird das genehmigen. Bundeskanzler Schüssel will und/oder muss das offenbar dulden.

In Österreich gibt es in der politischen Szene noch immer eine starke Minderheit, die diesen Tag als Trauertag empfindet. Nämlich nicht so sehr um das Hitler-Regime (obwohl es das natürlich auch gibt), sondern davon gedanklich irgendwie abstrahiert als Tag des Zusammenbruchs eines Großdeutschen Reiches, eines mächtigen Deutschland, inklusive Österreich natürlich.

Einzelne mögen vielleicht sogar meinen, man könne das trennen. Diese Leute können und wollen nicht erkennen, dass dieses Reich auf von Anfang an auf ungeheuerliche Verbrechen ausgerichtet war: Die vollkommene Ausrottung der Juden, die systematische Ermordung der polnischen Intelligenz, der Vernichtungskrieg im Osten (mit der Wehrmacht als ein wichtiges Instrument), an dessen Ende die teilweise Ausrottung und Versklavung der "russischen Untermenschen" stand.

Die Herren Haider, Jung & Co. trauern an dem Tag, an dem eine mörderische Wahnidee in der totalen Niederlage endete. Sie finden, diese Katastrophe sei Anlass zur "Selbstachtung, nicht Selbsthass". Sie haben immer so gedacht, aber nun stehen sie im Machtzentrum der Republik. Das ist die Katastrophe des 8. Mai 2002. mailto:hans.rauscher@derStandard.at (Der STANDARD, Print-Ausgabe 7.5.2002)