Im Umgang mit der Vergangenheit gibt es keine Neutralitätspolitik, zu viel wird instrumentalisiert, zu lange wurde tabuisiert. Im Fall der deutschen Wehrmacht wurde das am tiefsten verankerte Tabu - die Beteiligung von "einfachen Soldaten" an der Vernichtung von Zivilbevölkerung - 1995 durch die erste Wehrmachtsausstellung aufgebrochen. Das Verdrängte erodierte in heftigen Diskussionen. Seit November 2001 ist diese Ausstellung selbst Geschichte, abgelöst von der neu konzipierten "zweiten Wehrmachtsausstellung". Ein Themenheft der zeitgeschichte widmet sich den neuen Modi der Erinnerung, die eine breite Bevölkerung aufrüttelten.Natürlich, so Dirk Rupnow, hätte es immer schon Bilder gegeben, doch primär solche von Opfern in KZs. Der schockierende "Bildbruch" der Ausstellung 1995 bestand darin, dass hier "ganz normale Männer" bei direkt vollzogenen Taten gezeigt wurden. Tabu wie Emotion brachen auf, auch die den Einzelnen Täter entlastende Funktion des Verweises auf den "Befehlsgang" oder eine "nur" von Gestapo oder SS betriebene "Vernichtungsmaschinerie": "In Wirklichkeit wurde in großer Zahl in geradezu archaischen Formen getötet." Helmut Lethen lobt an der neuen Ausstellung, dass die sparsam-exakten Bildtexte die Wirkung eher noch erhöhen. Unter einer Sequenz von 33 Fotos (darunter auch Familienszenen) steht: "Jüdische Opfer auf dem Weg zur Exekution, Lubny 16. 10. 1941". Mit diesem Textverweis auf den Tod werden anonyme Menschen lebensweltlich konkret gemacht (Familie, Tod), und die Fotografie entfaltet jene Kraft, die Roland Barthes ihr zuschrieb: "Die Fotografie des verschwundenen Wesens berührt mich wie das Licht eines Sterns." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 5. 2002)