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Dior
Die Mailänder sitzen unter den Glasdächern der Galleria, nippen am Macchiato und schütteln den Kopf. Fast täglich das selbe Schauspiel. Gegenüber, vor dem Prada-Geschäft, stellen sich junge Frauen aus Japan brav in die Schlange und warten auf Einlass. Am Ausgang ist es aus mit der Disziplin. Da wird unter viel Gekichere in die weißen Prada-Einkaufstaschen der Freundin gekiebitzt. Und der Mailänder kommt aus dem Sich-Wundern gar nicht mehr raus. Denn bei Louis Vuitton und Chanel ist es ganz ähnlich. Und die Fragen bleiben: Ist die japanische Nachfrage nach europäischer Luxus-Lederware nicht längst gesättigt? Ist in Fernost nicht eigentlich Wirtschaftskrise? Und warum ist das sonstige Outfit der jungen Japanerin nicht ebenfalls Chanel oder Prada oder Vuitton? Zur Frage eins. Noch lange nicht, meint Yoshiyuki Nagai, Manager der International Division des Kosmetik-Konzerns Shiseido. "Die jungen Japaner, die aus den Universitäten in gut bezahlte Jobs kommen, wohnen so lange wie möglich bei den Eltern und haben gewissermaßen die Hände frei, um ihr Geld auszugeben." Frage zwei. Die Krise wird wahrgenommen, aber nicht in dem Ausmaß, dass man aktuell darauf reagiert. Denn der traditionelle Weg ist trotz Verunsicherung in den Köpfen. Der Arbeitsplatz ist eine lebenslange Beziehung zum Unternehmen, die Altersvorsorge ereignet sich daher quasi automatisch. Frage drei. Die junge Generation Japans sei im Reichtum aufgewachsen und mit den Gütern aus der europäischen Luxus-Industrie bestens vertraut, erklärt Reiko Tokita, Managerin des Institute of Beauty Sciences Beauty Enhancement & Communications von Shiseido, das sich mit so genanntem Soft Research beschäftigt. "Die japanische Jugend ist mit Chanel & Co. auf Du und Du. Luxus made in Europe wird völlig hemmungslos in die modische Ikonographie der Teens und Twens integriert." Unter japanischen Jugendlichen herrscht die pure Modeanarchie. Aber anders als im Westen, wo gepiercte Nasenflügel und Jesus-Schlapfen unter Umständen als Symbole des Widerstandes gegen das Establishment gelten, haben die zum Teil recht merkwürdigen Kombinationen keinerlei politische Funktion. "Eine Zeit lang wurde Tokio von Teenagergruppen heimgesucht, die sich extrem dunkle Gesichter und weiße Lippen schminkten. Die Vermutung, dass es ein Protest gegen das herrschende Schönheitsideal der perfektten Blässe sein könnte, ließ sich nicht bestätigen", meint Reiko Tokita. Da japanische Jugendliche eine recht begehrte Zielgruppe für die westliche Luxusindustrie sind, versucht man sich in den Lifestyle-Labors von Paris darauf einzustellen. Die Anzeigen von Christian Dior Accessoires etwa hält Tokita für einen direkten Ausdruck dieses Versuchs. Da werden Stile gemixt, aber nicht unbedingt gematcht, und auf Luxusappeal wird gleich gepfiffen. Die japanischen Designer selbst können da nur zum Teil mitbieten. Einerseits gibt es die großen japanischen Namen auf dem Pariser Parkett, deren Image reimportiert wird. Die größere Rolle spielen allerdings eine Reihe junger japanischer Modemacher, deren Kunden Fan-Gemeinden bilden, wie man es hier von Pop-Gruppen kennt. Wer wissen will, wie weit Mix and Match (oder eben nicht) gehen kann, möge sich auf den Laufstegen von Tokio umsehen. Die Kaffee trinkenden Europäer auf den Champs Elysée, am Kurfürstendamm oder der Mailänder Galleria seien gewarnt: Es könnten Manga-Frisuren, heruntergerollte Kniestrümpfe, Rüschenröcke und Plastik-Tops auf sie zukommen! von B.L. derStandard/rondo/10/5/02