Inland
Wehrmachtsdeserteure: Vergessene Opfer des NS-Regimes
Stoisits hofft auf Ende der Benachteiligung - Deutscher Bundestag beschließt am 15. Mai pauschale Rehabilitierung
Wien - Ein unvollständiges Podium präsentierte sich
Mittwochabend im Wiener Semper-Depot. Zur Frage, ob
Wehrmachtsdeserteure vergessenen Opfer des Nationalsozialismus seien,
wollte weder ein Vertreter des Justizministeriums, noch ein Vertreter
des Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus Stellung nehmen.
Hugo Pepper, Deserteur und Widerstandskämpfer, ließ sich davon wenig
beeindrucken: "Imponiert hätte mir eine solche Diskussion ohnehin nur
vor 20 Jahren." Dass Deserteure nach 1945 rechtlich und sozial diskriminiert
wurden, darüber waren sich Pepper, die Grüne Abgeordnete Terezija
Stoisits, der Rechtsanwalt Reinhard Kohlhofer und die Historikerin
Maria Fridsche, einig. Bisher hätte der Nationalfonds nur drei
Deserteuren eine Entschädigung zugesprochen. Rund 17 Fälle seien
nicht positiv erledigt worden, berichtet Stoisits. Sie hofft auf eine
Änderung der Spruchpraxis: "Im Komitee des Fonds gibt es eine
Mehrheit für die Anerkennung der Deserteure als NS-Opfer".
Keine Rehabilitation
"Eine der ersten Taten der Republik nach der Befreiung war es, ein
Gesetz zu erlassen, wonach die Verurteilten der Militärjustiz
rehabilitiert werden müssten", erklärte Kohlhofer. Geschehen sei de
facto aber nichts. Erst 1999 sei ein Urteil gegen einen
Kriegsdienstverweigerer aufgehoben worden. Einige weitere
Rehabilitierungen folgten. "Die Nichtigkeitsurteile waren eine große
Erleichterung für die Angehörigen. Bisher galten sie vor allem in
ländlichen Gebieten als Verbrecher."
"Es hat mehr Mut dazu gehört, den Befehl zu verweigern, als ihm zu
gehorchen", sagte Maria Fridsche. Sie arbeitet in jenem
Forschungsprojekt mit, das im Auftrag des Wissenschaftsministeriums
die rechtliche Rehabilitation der Opfer der NS-Militärjustiz
vorbereiten soll. "Die Militärjustiz war keine unpolitische Instanz,
sie stand ganz im Dienst der NS-Führung." Fridsche schätzt, dass rund
1.800 österreichische Deserteure verurteilt und davon 1.300 getötet
worden sind.
Als besondere Ungerechtigkeit empfanden die Teilnehmer, dass
Deserteure für ihre Haftstrafen keine Ersatzzeiten in der
Pensionsversicherung angerechnet werden. Stoisits forderte zum
Abschluss die Anerkennung dieser Ersatzzeiten sowie die pauschale
Aufhebung der Unrechtsurteile. "Der Deutsche Bundestag beschließt
eine kollektive Rehabilitierung der NS-Militärjustizopfer am 15. Mai
dieses Jahres", ergänzte die Historikerin Fridsche. (APA)