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Der Eiserne Vorhang hatte einen großen Vorteil: Die dahinter waren böse, wir davor hingegen ideologisch in Ordnung. Doch mittlerweile sind sogar die Grenzen zwischen "links" und "rechts" verwischt, und die österreichischen Parteien kämpfen damit, ihre programmatische Position sichtbar zu machen. Das haben die Diskussionen der letzten Tage deutlich gezeigt.

Richtungsdebatten sind bei Parteiführern unbeliebt, nach außen riecht es da schnell nach Streit. Mit der Aussage, die ÖVP sitze "breit in der Mitte", versuchte daher Klubobmann Khol schnell, die Endrunde in der Diskussion über die Liberalität der Schwarzen einzuläuten.

Doch ein allzu großes Spektrum birgt die Gefahr der Konturenlosigkeit. Die Abwesenheit einer Obmanndebatte - in früheren Zeiten das beliebteste Gesellschaftsspiel der ÖVP - ist noch kein inhaltliches Programm. Budgetsanieren ist ehrenwert, aber keine Ideologie. Das Kindergeld war eine inhaltliche Ansage, doch als Erfinder gilt die FPÖ. Und weil viele Wähler es der ÖVP als Sündenfall anrechnen, die Blauen ins Regierungsboot geholt zu haben, muss die Kanzlerpartei ganz schön rudern, um trotzdem ein eigenständiges Profil jenseits des Feindbildes "Schwarz-Blau" zu bewahren.

Die bevorstehende Ablöse Bernhard Görgs in Wien wäre Gelegenheit gewesen, ein Signal zu setzen. Dass man mit Staatssekretär Alfred Finz nun das Gegenteil von einem bunten Vogel holt, zeigt, dass die Wiener ÖVP ein Schrebergartenverein, aber sicherlich keine Trägerrakete für die nächsten Nationalratswahlen ist. Liberalität und Urbanität - auf diesem Gebiet dürfen sich offenbar nur die steirischen Schwarzen austoben. Mag sein, dass das "Mitte" be- deutet.

Die FPÖ wiederum steht stramm "rechts" für Law and Order, will sich aber auch gerne für den "kleinen Mann" stark machen, was man im Zweifel auch als "links" bezeichnen könnte. Scharfes rechtes Profil hat die FPÖ bei Ausländerfragen und mit ihrer Unterstützung des skurrilen deutschnationalen Lagers in Österreich. Aufgefallen ist sie zuletzt auch mit ihrem Bemühen, in nachgeordneten Einrichtungen des Staates Einfluss zu gewinnen. Das ist für Regierungsparteien normal, allerdings nicht mit der Plumpheit, mit der die Freiheitlichen vorgehen.

Doch im ständigen "Widerstand" verblasst auch das Profil der Oppositionsparteien. "Anti-Schwarz-Blau" ergibt noch keine Ideologie, sich als "Hüter der Moral" zu proklamieren noch kein Programm. Die Umfragedaten der SPÖ sind trotzdem gut. Aber viele Sozialdemokraten sind skeptisch, ob Alfred Gusenbauer als Spitzenkandidat das nötige Charisma hat, um eine Wahl erfolgreich zu schlagen. Er will Maßnahmen dieser Regierung wieder abschaffen (Studienbeiträge, Ambulanzgebühr sowie - teilweise - das Kindergeld) und spricht viel von der "solidarischen Hochleistungsgesellschaft". Dass Letzteres aber wirklich "links" sein soll, bezweifeln nicht nur "Fundis", die mehr soziale Wärme in der SPÖ-Politik spüren wollen. Jetzt haben auch noch die "Realos" darüber spekuliert, eine - selbstverständlich gewandelte - FPÖ einmal nicht mehr auszugrenzen. Die politisch korrekte Linie der SPÖ brachte dies gehörig ins Wanken.

Das würde den Grünen nicht passieren. Sie haben sich trotz des bürgerlich wirkenden Alexander Van der Bellen deutlich links der Mitte positioniert - wenn man ausländerfreundliche und antimilitaristische Politik denn so bezeichnen will. Ob das der Wähler so stark honorieren wird, wie es die letzten Umfragewerte vermitteln, darf aber bezweifelt werden.

Ein Blick über die Grenzen nach Deutschland zeigt außerdem, dass bei einer grünen Regierungsbeteiligung gerade bei der Verteidigungs- und der Asylantenpolitik inhaltlich kaum andere Akzente zu setzen sind als bei konservativen Regierungen.

Je mehr in Europa die Klassengegensätze verschwimmen, desto schwieriger ist es, klare, ideologische Politik zu betreiben. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 11./12. 5.2002)