Wien - Er kam aus Wien, war jüdischer Herkunft und gründete eine Schule der Psychoanalyse - wenn auch Jahrzehnte nach Sigmund Freud. Heinz Kohut, 1913 geborener Vordenker der psychoanalytischen Selbstpsychologie, kam mit dem Theorie-"Urvater" nur ein einziges Mal zusammen: "Als Freud 1938 emigrieren musste, ging Kohut auf den Westbahnhof, um ihm Lebewohl zu winken", erzählt Erwin Bartosch, Organisator des zweiten Kongresses der Selbstpsychologen, der bis Sonntag in Wien stattfindet.

Ein Jahr später, 1939, musste Kohut dann selbst vor den Nazis flüchten. In die USA, wo er seine grundlegenden Werke schrieb: "Für Kohut ist der Mensch nicht von Trieben bestimmt, sondern von so genannten Selbstobjekten: Inneren Bildern der Eltern und wichtigen frühen Bezugspersonen", erläutert Bartosch. Aggressionen, wie sie in Neurosen und anderen seelischen Erkrankungen zum Ausdruck kämen, seien also nicht angeboren, sondern erworben - ein im Grunde positiveres Menschenbild als jenes Freuds.

Kohuts Lehre sei "offen und unserer Zeit entsprechend", meint Bartosch. Freitag abend enthüllte er eine Gedenktafel für den 1981 in Chicago Verstorbenen. An der Fassade des Gymnasiums in der Wiener Gymnasiumstraße, das Kohut, "der über seine persönliche Emigrationsgeschichte nur selten sprach", besucht hat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11./12.5. 2002, bri)