Inland
Jeder Zweite zweifelt, dass Brüssel gut arbeitet
Laut einer STANDARD-Umfrage hält nur ein Drittel der Österreicher die EU für demokratisch
Linz - Nur ein Drittel der Österreicher gibt in einer neuen
Umfrage des Linzer market-
Instituts an, dass die EU seit
dem österreichischen Beitritt
deutlich (vier Prozent) oder
zumindest etwas (30 Prozent)
demokratischer geworden sei.
Und das, obwohl die steigende
Bedeutung der EU-Politik allgemein anerkannt wird.
Die Bruchlinien in der
Wahrnehmung der EU-Entwicklung verlaufen dabei weniger nach den Parteigrenzen,
sondern hängen stark mit der
Bildung und Interesse zusammen: Gebildete, männliche und vor allem jüngere Befragte nehmen den Demokratisierungsprozess eher wahr.
Es sind auch diese Gruppen,
die der Arbeitsleistung der Europäischen Institutionen ein
auffallend besseres Zeugnis
ausstellen als der Rest der Bevölkerung: Bei den unter 30-
Jährigen gehen zehn Prozent
davon aus, dass die EU sehr
gute Arbeit leiste, weitere 49
Prozent sehen immerhin gute
Arbeit. Bei den Senioren ist
das Verhältnis umgekehrt: Die
über 50-Jährigen sagen zu fast
zwei Dritteln, dass die EU eher
weniger gut arbeitet. Im
Schnitt zweifelt jeder Zweite.
Diese Ergebnisse kommen
zu einem Zeitpunkt, zu dem
sich die europäische Politik
besonders um die Bürger bemüht, weil deren Wünsche
und Vorstellungen auch beim
so genannten Konvent Eingang finden sollen. Erst am
Freitag hat der grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber - er ist auch Mitglied des Konvents - in Wien
für den Dialog mit diesem
Gremium geworben, das einen
Entwurf für die Zukunft der
EU erarbeiten soll.
Eines der Mittel dazu ist eine mehrsprachige Homepage
(www.europakonvent.info)
die eine gesamteuropäische
Öffentlichkeit schaffen soll.
Voggenhubers Ziele decken
sich nicht nur mit denen der
grünen Konventmitglieder:
Die Schaffung einer europäischen Demokratie, eines
handlungsfähigen Europa in
der Welt, eines gemeinsamen
sozialen Raumes sowie die
Vertiefung der Einheit.
Wenig berücksichtigt
Aber das ist vorläufig Theorie. Für 53 Prozent der Österreicher ist zwar klar, dass die
EU als politische Ebene künftig noch bedeutender wird -
aber sieben von zehn Befragten meinen, dass "die Interessen einzelner EU-Bürger" weniger gut (45 Prozent) oder gar
nicht gut (25 Prozent) berücksichtigt würden. Nur zwei
Prozent sehen ihre Interessen
sehr gut vertreten, 22 Prozent
immerhin gut. market-Studienleiter David Pfarrhofer sieht
das im Zusammenhang damit,
"dass auf allen politischen
Ebenen immer wieder ,Brüssel‘ dafür verantwortlich gemacht wird, wenn eine unangenehme Entscheidung zu
treffen ist. Da wird auf dem lokalen, regionalen oder nationalen Klavier gespielt, wie es
eben passt - und man sieht
auch, dass die Frage, ob österreichische Interessen in der
EU gut vertreten wären, ein
ganz ähnliches Antwortmuster kommt wie bei der Frage
nach der Berücksichtigung
der persönlichen Interessen."
Dies bedeute aber nicht unbedingt eine Ablehnung der
EU: 49 Prozent (hier wieder
besonders die jungen, hoch
gebildeten und männlichen
Befragten) sehen mehr Vorteile für Österreich in der EU,
40 Prozent (darunter viele
Freiheitliche) sehen Nachteile
überwiegen. Auch für die persönliche Situation wird der
EU-Beitritt als eher positiv
erlebt: Hier steht das Verhältnis 41 zu 33, wobei 26 Prozent
sich von den Folgen des EU-
Beitritts überhaupt nicht persönlich betroffen sehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 05. 2002)