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Foto:APA/Techt

China muss sich nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) auf brisante und krisenhafte Probleme einstellen. Eine von einem Forschungszentrum des Pekinger Staatsrates veröffentlichte Untersuchung rechnet mit einer künftigen urbanen Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent, eine Zahl, die rund 20 Millionen Arbeitslosen entspricht.

Die Studie warnt vor untolerierbaren Einkommensunterschieden, einer verschärften Polarisierung zwischen Arm und Reich und sagt soziale Konflikte aller Art, Proteste und Demonstrationen voraus. Wirtschaftlich müssten sich international wettbewerbsunfähige Industriebereiche während der WTO-Übergangszeit warm anziehen.

Ineffiziente Industrien

Das gilt etwa für rohstoffabhängige oder produktionstechnisch ineffiziente Industrien, wie der Öl- und Petrochemie, Automobil, Papier, Kosmetika oder Arzneimittel. In der Landwirtschaft trifft es die Masse der Bauern, soweit sie reine Agrarprodukte und Nutzpflanzen anbauen. Die Autoren der Studie analysierten in einer vierseitigen Beilage der China Economic Times die Folgen des WTO-Beitritts auf "Gesellschaft, Landwirtschaft und verarbeitende Industrie". Sie betonen dabei, dass die Schwierigkeiten nicht durch den Beitritt Chinas zur WTO verursacht werden, sondern das "Ergebnis über lange Zeit akkumulierter Probleme im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sind".

Landwirtschaft und Industrie dürften daher nicht auf Subventionen oder Schutzmaßnahmen setzen, sondern müssten sich aktiv über Internationalisierung, Arbeitsteilung und Umdenken anzupassen versuchen.

Neuer Importdruck

Die Agrarproduktion mit zu teurem Anbau von Getreide, Soja, Raps und Baumwolle gerät dabei anders als Obst und Gemüse unter den Druck der Importe aus den USA und Kanada. Heuer wird China unter der WTO-Quotenregelung 7,4 Prozent seines Getreides importieren. Peking muss Abschied von seinem Prinzip 95-prozentiger Getreideselbstversorgung nehmen.

Chinas verarbeitende Industrien sollten ihre "komparativen Wettbewerbsvorteile" weiter entwickeln, wenn sie überleben wollen. Dabei würde ihnen die hohe Nachfrage des Binnenmarktes helfen, um sich den Weltmarktbedingungen anzupassen. Die Autoindustrie könnte sich etwa erfolgreich auf die Herstellung von Klein-/Mittel- und Nutzfahrzeugen konzentrieren. Der verarbeitenden Branche kommt zugute, dass sie mehr als 70 Prozent aller Auslandsinvestitionen anziehen konnte. Ihre Endprodukte machen daher heute 90 Prozent der Exporte Chinas aus. Eigentumsverhältnisse haben sich umgekehrt

Die Eigentumsverhältnisse haben sich umgekehrt und sorgen für hohe Flexibilität. 1978 war die verarbeitende Industrie noch zu 76 Prozent reiner Staatsbesitz. Heute sind es weniger als 30 Prozent.

Als positiven Effekt aus dem WTO-Beitritt rechnet die Studie für die kommenden zehn Jahre mit einem jährlichen durchschnittlichen Zuwachs von 0,5 Prozent für Chinas Bruttoinlandsprodukt. Dieser Zuwachs könne die Folgen aus der "extrem schlimmen Arbeitsmarktlage" nicht auffangen. In den Staats- und Kollektivbetrieben seien heute "mindestens 20 Prozent aller Beschäftigten überflüssig". Chinas Arbeitslosigkeit habe schon 1997/98 real bei 13 bis 15 Prozent gelegen. Sie werde auch bei hohem Wirtschaftswachstum weiter ansteigen. Hinzu komme der Druck vom Lande. Dort seien 150 Millionen Bauern unter den 330 Millionen Arbeitskräften, die im Agrar- und Forstbereich, bei Vieh- und Fischzucht tätig sind, faktisch ohne Arbeit.

Drastisch warnen die Autoren vor den sich ausweitenden Einkommensunterschieden. "China ist im internationalen Vergleich über der Grenze des Tolerierbaren hinaus". Anders als in den ersten 20 Jahren der Reformen nach 1978, als fast alle Chinesen mehr oder weniger stark von den Reformen profitieren konnten, polarisiert sich die Gesellschaft seit Mitte der Neunzigerjahre in Gruppen, die immer reicher und andere, die immer ärmer werden. Die Regierung müsse in den nächsten Jahren des WTO-Übergangs "ihren Schwerpunkt auf den Schutz der Ärmsten und Schwächsten legen".(Johnny Erling aus Peking, der Standard, Printausgabe, 13.05.2002)