Lissabon - Vom Arzt diagnostizierter krankhafter Knochenabbau - die Osteoporose - muss sofort behandelt werden. Doch nur ein Bruchteil der Betroffenen bekommt selbst nach dem Auftreten der ersten Fraktur eine wirksame Therapie. Dies erklärten Wissenschafter am Wochendende beim Kongress der Internationalen Osteoporose-Stiftung (IOF) in Lissabon (10. bis 14. Mai). Die statistischen Daten sind dramatisch. Der britische Experte Univ.-Prof. Dr. Cyrus Cooper (Southampton): "Das Lebensrisiko einer Frau, eine Hüftgelenksfraktur zu erleiden, beträgt 14 Prozent, das einer Rückenwirbelfraktur elf und das eines Unterarmbruchs 13 Prozent (Männer: drei, zwei und zwei Prozent, Anm.)." Während der krankhafte Knochenabbau oft schon im mittleren Lebensalter auftritt - jede dritte Frau erkrankt daran -, wird auch in Europa noch immer zu wenig gegen diese "Volksseuche" getan. Cooper: "Die ersten durch Osteoporose verursachten Frakturen sind zumeist Wirbelbrüche. Sie treten im Alter zwischen 65 und 70 Jahren auf. Dann folgen die Hüftfrakturen (Oberschenkelhalsbrüche, Anm.) bei einem Durchschnittsalter der Betroffenen von 81 Jahren." Das Resultat allein für Europa: Pro Jahr rund 400.000 Hüftgelenksbrüche, 270.000 Patienten mit diagnostizierten Wirbelfrakturen und 330.000 Fälle von Unterarmbrüchen durch Osteoporose. Das Grundübel liegt in durchaus behebbaren Faktoren. Die meisten Fälle von Osteoporose werden aber erst erkannt, wenn der erste Knochenbruch bereits erfolgt ist und die Patientin im Spital versorgt werden muss. Cooper: "Selbst bei den Wirbelbrüchen wird nur ein Drittel der Fälle schon bei der ersten Fraktur erkannt." Während aber in solchen Fällen oft einfach "Kreuzschmerzen" angenommen werden, schreitet das Unheil fort und führt bei vielen Betroffenen zu weiteren Knochenbrüchen. Doch bei der Behandlung sieht es noch offenbar noch viel schlechter als bei der Diagnose aus. Der britische Experte. "Dazu gibt es Untersuchungen unter sechs Millionen Patienten aus unserem Land. Selbst nach der ersten Fraktur erhalten nur vier Prozent der Betroffenen Bisphosphonate (die wirksamsten Mittel gegen Osteoporose Anm.) vom Arzt verschrieben, nur 2,2 Prozent bekommen Vitamin D, eine Hormon-Ersatztherapie nur 1,4 Prozent und Calcitonin (ein Knochenwachstumshormon, Anm.) nur 0,1 Prozent." Mikroarchitektur der Knochen entscheidend Entscheidend für die von Osteoporose Betroffenen ist jedenfalls eine möglichst frühzeitige Behandlung. Das Problem laut dem deutschen Radiologen Univ.-Prof. Dr. Dieter Felsenberg (Freie Universität Berlin): "Ein Knochenbruch ist bereits das 'Ende' der Entwicklung der Osteoporose. Mit unseren Untersuchungen messen wir die so genannte Knochendichte, also die Knochenmasse. Es kommt aber auch entscheidend auf die Mikroarchitektur des Knochens an." Was dem Laien als ziemlich "einförmiges" Material erscheinen mag, ist in Wirklichkeit ein hoch komplexes Organ: der Knochen. Normalerweise befindet sich das Knochengerüst in einem Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau. Die Vernetzung der Knochenfasern in erst unter dem Mikroskop erkennbaren "Gerüst-Strukturen" gibt dem Skelett schließlich die eigentliche Belastbarkeit. Felsenberg: "Bei der Osteoporose kommt es neben dem Verlust an Knochenmasse auch zum Abbau der horizontalen 'Gerüst-Teile'. Das schwächt die Knochen entscheidend." - Ähnlich wäre es, man würde bei einem hohen Barhocker die Quersprossen entfernen. Sind aber die den Knochen abbauenden "Fresszellen" - die so genannten Osteoklasten - einmal aktiviert, "nagen" sie ähnlich einem Diamanten zum Glasschneiden an der Oberfläche und schwächen Stabilität und Tragfähigkeit. Der deutsche Experte: "Mit einer neuen Methode, der 3D-Mikro-Computertomographie, kann man das sichtbar machen." Gerade weil bei Osteoporose-Patienten auch schon der anfängliche Schaden zu späteren Frakturen führen kann, ist die möglichst schnelle Therapie notwendig. Hier haben die so genannten Bisphosphonate in den vergangenen Jahren eine Revolution ausgelöst. Diese Medikamente hemmen die Aktivität der Osteoklasten. Felsenberg: "Die Behandlung mit einer Substanz wie Risedronat (Actonel, Aventis, Anm.) bringt innerhalb eines Jahres bei Frauen mit einem ersten Wirbelbruch in Folge von Osteoporose einen Zuwachs an Knochenmasse um vier Prozent und eine Verringerung der Gefahr neuerlicher Frakturen um 65 Prozent." Ohne Früherkennung und schnelle Behandlung aber kann schon am Beginn der Entwicklung der Osteoporose ein Schaden entstehen, der sich nicht mehr wirklich "reparieren" lässt. (APA)