Natürlich könnte man die Dinger als Vorwand dafür verwenden, wildfremde Menschen anzusprechen. Nur: Es ist halt völlig sinnlos. "Gibst du mir dein Fahrrad?", klingt auch blöd. Versuchen darf man es trotzdem. "Asoziale Hühner", schnaubte deswegen einer jener vier Knaben, die den Versuch gewagt hatten. Es war Sonntag. Es war sonnig. Und es war im Burggarten: Zwischen den Stadtpflanzen, die hier Licht tankten, stand eines der neuen Zwei-Euro-Bikes. Ein dickes Bügelschloss am Gepäckträger. Die zu dem Rad gehörenden Mädchen (zwei Studentinnen – eine hatte ihr eigenes Rad) saßen im Gras daneben. "Wir wollen dein Rad. Das steht schon zehn Minuten da", sagte einer der vier Burschen. "Du musst es abgeben, wenn Du nicht fährst." Er sagte das so, als würde er selbst bei einer Kaffeepause tatsächlich sein Rad hergeben – wenn er nur eines hätte. Seine drei Freunde (alle radlos) nickten: "Jaja. Wer nicht fährt, muss das Rad abgeben. Das gehört sich so." Die drei Musterschüler schafften es knapp, nicht zu grinsen. Dann erst sahen sie das Schloss: "Das ist verboten! Das werden wir melden!" Die Mädchen zuckten mit den Schultern: "Dann meldet mal." "Asoziale Hühner." Abgang. Bequemer als Patschenflicken Sie habe, erzählte die Studentin später, ihr Rad einen halben Tag gesucht. Und dann eine Stunde lang bei der Oper gewartet. "Das Schloss habe ich gleich mitgenommen." Ein Mann im Anzug ("So ein Anwalttyp.") habe ein Rad zurückgebracht. "Ich hab mich eh gefragt, ob der blöd ist – so was tut doch sonst keiner." Es sei für sie halt bequemer, zwei Euro für ein Leihrad zu investieren, als den Patschen ihres eigenen Rades zu flicken, erzählte das Mädchen im Burggarten. Bloß dass das Rad so schwer sei, hätte sie nicht erwartet. Das sei echt mühsam. Außerdem: "Wenn man über den Randstein fährt, fliegt alles aus dem Korb, das ist blöd." Zurückgeben? Sie kicherte. Na klar. Sie wird das Rad zurückgeben. Bald. Und die Erde ist eine Scheibe. "Ich wohne im 22. Bezirk. Da hat mich schon einer aufgehalten und gesagt, die Polizei habe eine Frau angezeigt, die das Rad jenseits des Gürtels verwendet hat." Der Mann habe ihr zwei Euro geboten – er würde das Rad für sie zurück in die Stadt bringen: "Netter Versuch." Wien ist ganz anders A. lag währenddessen keine zwei Meter neben den beiden im Burggartengras und sang ein bisschen Tocotronic: "Die Idee ist gut, doch die Welt nicht bereit." Schließlich brauchte man kein Seher zu sein, um vorherzusagen, was passieren würde, sobald irgendwer tatsächlich Gratisfahrräder aufstellt. In Amsterdam und woauchimmernoch (war das Rotterdam?) derartiges versucht worden war, war das Resultat immer gleich gewesen: Wenn überhaupt, wurden die Fahrräder in Grachten, Hinterhöfen oder ganz weit weg von ihren vorgesehenen Verwendungsorten wieder gefunden – auf der Straße waren sie kaum. Verfügbar so gut wie nie. Als wir später die Mariahilfer Straße hinaufstrampelten, sahen wir doch noch zwei Gratisräder in Aktion. Beide wurden von Männern gefahren, deren Körperbau, mehrfach zickzackige Nasenbeine und Unterarmtätowierungen keinen von uns – auch die vier Knaben aus dem Burggarten eher nicht – inspiriert hätte, nach einer Radüberlassung zu fragen. Ein viertes Freirad sahen wir auch: Es war mit einem Bügel- und einem Kettenschloss mustergültig an einem grünen Bügel fixiert. Die blauen Gratisradabholanlagen waren dafür alle leer. Komisch eigentlich – schließlich hatte mir B., der Bezirksvorsteher des siebten Bezirkes, wenige Tage vor Beginn der Gratisradaktion ein Mail geschickt. Er wisse zwar nicht, wie oft er Fahrräder an den Abstellanlagen finden werde, hatte B. geschrieben, dafür ahne er, wofür die wirklich verwendet werden würden. Er habe schon einige Einkaufswagerln an den blauen Gratisradstationen gesehen: Die Pfandstecker haben schließlich das gleiche Format. NACHLESE --> Unten am Fluss --> Parklife --> Rauchzeichen --> Missionarsstellungen --> Das Ende der Stadt --> Die Wiese --> Durch die Blume --> Der Aidsstecher --> Drei ist mehr als sechs und kleinlich --> Wenn Werber weinen --> Der Wichser --> Ausgerechnet Curling --> Fahrraddiebe --> Der Leuchtturm --> Weitere Stadtgeschichten...