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Wien/Gorizia - In Italien trat mit 1. Jänner 2002 ein Gesetz in Kraft, das der enormen Beschwerdeflut vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Einhalt gebieten schaffen soll. Von 190 Verurteilungen wegen zu langer Prozessführung haben im Jahr 1999 allein 44 Italien betroffen, 18 die Türkei und 16 Frankreich. Im Jahre 2000 ist die Anzahl der Verurteilungen Italiens noch gestiegen. Nach jahrelanger Passivität des italienischen Gesetzgebers wurde schließlich mit einer erstaunlichen Schnelligkeit das Gesetz Nr. 89 vom 24. 3. 2001 "Über die Leistung angemessenen Schadenersatzes im Fall der Verletzung vernünftiger Prozessdauer" beschlossen. Als Grundlage beruft man sich darin ausdrücklich auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Das neue Gesetz sieht den Zuspruch eines angemessenen Ersatzes von Schäden vor, die auf eine zu lange Prozessdauer zurückzuführen sind. Dies umfasst Vermögensschäden wie immaterielle Schäden. Letztere werden freilich in Italien nur dann ersetzt, wenn dies auch ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist. Der Ersatz immateriellen Schadens kann dabei auch neben der Leistung eines angemessenen Geldbetrages in einer Veröffentlichung bestehen. Antragsfristen Der Antrag, der sowohl während des Prozesses oder aber spätestens innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteiles gestellt werden kann, ist beim zuständigen Berufungsgericht (Corte d'appello) einzubringen und muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. In die Sache selbst wird nicht eingegriffen, es geht nur um den Ersatz des Schadens. Entschieden wird aufgrund der Komplexität des Falles, der Vorgangsweise der Parteien und des Richters im Ausgangsprozess. Gegen diese Entscheidung kann ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof (Corte di Cassazione) eingebracht werden, das aber keine aufschiebende Wirkung hat. Erst nach Ausschöpfung dieses Rechtsweges kann, im Fall der Abweisung des Ersatzanspruches, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden. Dieser ist damit nicht mehr selbst die erste "Instanz" für Klagen auf Ersatz wegen zu langer Prozesse in Italien. Auf der anderen Seite muss sich aber der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) nun ebenfalls mit Italiens Prozesslängen befassen. Das Problem ist Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens, das das Oberlandesgericht Innsbruck dem EuGH vorgelegt hat (4 R 41/02i). Im Mittelpunkt steht die übliche erste Frage in internationalen Prozessen - die nach dem Gerichtsstand: Welches Gericht ist für einen grenzüberschreitenden Fall zuständig? In diesem Verfahren beruft sich der österreichische Kläger darauf, dass jedenfalls - auch wenn schon ein Verfahren in Italien anhängig ist - der österreichische Gerichtsstand gelten muss, um Nachteile, die aus der überlangen Verfahrensdauer in Italien entstehen können, zu vermeiden. Der EuGH hat nun die folgenden Fragen zu beantworten: Muss ein Gerichtsverfahren unter Umständen auch in Österreich durchgeführt werden, wenn im anderen betroffenen EU-Staat Verfahren - vom Verhalten der Parteien weitgehend unabhängig - unvertretbar lang dauern, sodass dadurch einer Partei erhebliche Nachteile entstehen können? Darf das Verfahren daher auch nicht bis zur Entscheidung über die Zuständigkeit des italienischen Gerichtes unterbrochen werden? Die zweite Frage ist, ob nicht die im neuen italienischen Gesetz normierten Rechtsfolgen die Unterbrechung des Verfahrens rechtfertigen. (DER STANDARD, Printausgabe 14.5.2002)