Wirtschaft
Abfertigung neu: Wieder nur auf Sand gebaut - Michael Bachner
Die betriebliche Altersvorsorge bleibt ein Problem
Das österreichische Abfertigungsrecht, Relikt einer Kriegsnotverordnung aus 1917, wird reformiert. Die Regierung hängt sich schon vor dem Start 2003 die Medaillen "Jahrhundertreform" oder "historisch bedeutsamste sozialpolitische Weichenstellung der letzten Jahrzehnte" um. Was grundsätzlich als erster Schritt in die richtige Richtung gewertet werden kann, hält einer näheren kritischen Betrachtung kaum stand. Beide zentralen Versprechen, die Entschärfung der tickenden Bombe im Pensionssystem sowie das Erreichen eines vollen Jahresgehaltes nach 25 Arbeitsjahren auch im neuen Abfertigungsmodell, werden nicht eingelöst.
Erst nach 37 Beitragsjahren kommt bei durchgängiger Schönwetterlage an den Aktienmärkten ein Jahresgehalt heraus, und auch dann nur ein durchschnittliches Lebenseinkommensgehalt und kein letztes Jahreseinkommen.
Doch insbesondere die Idee der betrieblichen Altersvorsorge als Ergänzung zum staatlichen Pensionssystem bleibt stark unterbelichtet. Sozial- und Finanzexperten kritisieren zu Recht, dass die Möglichkeit der vorzeitigen Auszahlung der Abfertigungs- ansprüche vor Pensionsantritt kaum ein nennenswertes Volumen in der zweiten Pensionssäule entstehen lassen wird. Kurze Anlagehorizonte vernichten obendrein den Zinseszinseffekt, auf dem das neue kapitalgedeckte Verfahren beruht. Der Anreiz der Steuerfreistellung bei Einbringung der Abfertigung in eine monatliche Rente ist im Vergleich zur sechsprozentigen Besteuerung bei Einmalauszahlung des angesparten Kapitals viel zu gering.
Positiv zu werten ist, dass der Bezieherkreis von derzeit 15 Prozent aller Arbeitnehmer, die einen Abfertigungsanspruch erwerben, auf nahezu 100 Prozent ausgeweitet wird. In Zukunft erwerben auch Lehrlinge, Saisonbeschäftigte oder Frauen in Karenzzeiten einen Abfertigungsanspruch. Das neue Rucksackprinzip, wonach die Ansprüche auch bei einer Selbstkündigung nicht erlöschen, fördert überdies die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und verhindert bisher zu beobachtende Kündigungen kurz vor Sprüngen auf höhere Abfertigungsniveaus.
Dennoch verwundert es nicht, dass de facto kaum jemand aus dem alten freiwillig ins neue System wechseln wird. Viele Gespräche und Diskussionen in den letzten Monaten haben das gezeigt.
Niemand kann garantieren, dass Finanzminister in fünf, zehn, fünfzehn Jahren nicht plötzlich doch auf die Idee kommen, die Abfertigung - egal ob als Einmalbetrag oder monatliche Rente - saftiger zu besteuern. Und niemand kann heute garantieren, dass sich die Börsen in den nächsten 30 Jahren so positiv entwickeln, wie sie das - mit Pausen - in den letzten 30 Jahren gemacht haben.
Die Regierung streichelt die Sozialpartner für ihr Reformmodell aus dem Herbst 2001, das nun ohne substanzielle Änderungen mit einem halben Jahr Verzögerung beschlossen wurde. Die Sozialpartner streicheln die Regierung, denn sie haben seit langem wieder einen "Erfolg" herzuzeigen. Die gesetzliche Festschreibung der Beitragssätze, die Einhebung der Beiträge durch die Krankenkassen und die Bezahlung der Ersatzzeiten durch die Arbeitgeber beziehungsweise den Familienlastenausgleichsfonds sind Detailerfolge. Sie verblassen aber, gemessen am Anspruch, die Pensionsproblematik zu lösen.
Nicht einmal die freiwillige Zuzahlung durch Dienstnehmer in die Mitarbeitervorsorgekassen ist vorgesehen. Der Gruppe der selbstständig Erwerbstätigen, den freien Dienstnehmern, Hausfrauen und -männern oder Bauern wird lediglich ein "attraktives Eigenvorsorgemodell" im Rahmen der anstehenden Steuerreform in Aussicht gestellt. Wenn dem österreichischen Arbeitsmarkt bis 2010 aus demografischen Gründen 400.000 Erwerbstätige fehlen werden, wird die Pensionsbombe hochgehen. Das neuerliche Herumdoktern beim Frühpensionsantrittsalter oder gar die Abfertigung neu werden daran nichts ändern. (DER STANDARD, Printausgabe 15.5.2002)