Europa
Die Vereinten Nationen und Zypern
New York/Nikosia/Wien - UNO-Generalsekretär Kofi Annan will
die neuerlich festgefahrenen Zypern-Volksgruppengespräche aus der
Sackgasse führen und trifft auf der geteilten Mittelmeerinsel mit den
Führern des griechischen und des türkischen Bevölkerungsteiles,
Glafcos Clerides und Rauf Denktas, zusammen. Während Clerides
Präsident der Republik Zypern und damit das völkerrechtlich
legitimierte Staatsoberhaupt des UNO- und Commonwealth-Mitglieds
sowie EU-Beitrittsanwärters ist, wird die Denktas-Administration
("Türkische Republik Nordzypern") nur von der Türkei anerkannt, die
seit der Invasion von 1974 den nördlichen Inselteil militärisch
kontrolliert und den demographischen Charakter durch Ansiedlung von
100.000 Festlandtürken nachhaltig verändert hat. UNO-Sicherheitsrat und -Generalversammlung haben seit 1974 eine
Reihe von Entschließungen gegen die faktische Insel-Teilung
verabschiedet, die allesamt von der Türkei ignoriert worden sind,
insbesondere die Resolution 3395 der Vollversammlung (1975) gegen
"Änderungen der Zusammensetzung der Bevölkerung" Zyperns. Ankara
sucht seit Jahrzehnten ohne Erfolg die rechtliche Sanktionierung der
militärisch geschaffenen vollendeten Tatsachen.
Resolutionen
Die einschlägigen Zypern-Resolutionen der Vereinten Nationen, die
Friedenstruppen (UNFICYP) auf der Insel unterhalten, sehen die
Wiedervereinigung in Form eines "bikommunalen und bizonalen
Bundesstaates" vor. Die Kompetenzen der Bundesregierung sollten die
Einheit des Landes unter Berücksichtigung des "bikommunalen"
Charakters berücksichtigen. In der Sicherheitsrats-Resolution 550 vom
11. Mai 1984 (die USA enthielten sich dabei der Stimme) wurden die
"sezessionistischen Handlungen" in dem von der Türkei okkupierten
Inselteil verurteilt.
Die Lösung des Verfassungsproblems sollte nach den UNO-Texten
durch den Aufbau eines weitgehend dualistischen Staatsapparats mit
stark ausgeprägten föderativen Elementen erfolgen. Parallel zur
Entwicklung der neuen Staatsstruktur müsste der Abzug der türkischen
Invasionsarmee erfolgen.
Erstarrung der Fronten
Die verschiedenen Zypern-Initiativen der UNO-Generalsekretäre Kurt
Waldheim und Javier Perez de Cuellar in den siebziger und achtziger
Jahren stießen auf große Schwierigkeiten. Ankara und die türkischen
Zyprioten standen den Vereinten Nationen, denen sie "Einseitigkeit"
vorwarfen, misstrauisch gegenüber. Die Erstarrung der Fronten hatte
aber vor allem für die türkisch-zypriotische Seite negative Folgen;
die politische Isolation war eine der Ursachen der anhaltenden
Wirtschaftsmisere Nordzyperns, während der Süden ein wahres
Wirtschaftswunder erlebte, der das Land für die EU-Mitgliedschaft
qualifizierte.
Die Frage des EU-Beitritts macht deutlich, wie eng Wirtschaft und
Politik auch hier miteinander verknüpft sind. Aus
Regierungskreisen in Ankara verlautete, mit der gegenwärtigen
Verhärtung bei den Volksgruppengesprächen wolle man ein größeres
Entgegenkommen der EU gegenüber den türkischen Beitrittsbemühungen
erzwingen. Die unerfüllbare Maximalforderung nach Zweistaatlichkeit,
wie sie von Volksgruppenchef Rauf Denktas mit Unterstützung aus
Ankara erhoben wird, würde darauf hinauslaufen, dass der Staat, der
den EU-Beitrittsantrag gestellt hat, aufhören würde zu existieren. (APA)