Dschidda - Als Saudiarabien vor einem halben Jahr begann,
Personalausweise an Frauen auszugeben, gingen die Hardliner auf die
Barrikaden. Ausweiskarten mit Bildern, auf denen die Frauen
unverschleiert zu sehen sind? Das ging den konservativen Kreisen
deutlich zu weit. In düsteren Farben malten sie die Gefahr des
Missbrauchs. Mittlerweile tragen tausende Frauen in Saudiarabien ihr
eigenes Ausweisdokument bei sich, statt wie bisher lediglich im
Ausweis ihres Ehemannes oder Vaters vermerkt zu sein. Der Widerstand
in der Gesellschaft aber ist nach wie vor groß.
Tragen der Abaja zweitrangig
"Wer einen Ausweis für seine Frauen besorgt, benimmt sich wie ein
Zuhälter", schäumt eine fundamentalistische Gruppe. Zahlreiche
Frauen reagierten resigniert: Wenn schon unverhüllte Gesichter auf
Fotos Anstoß erregten, wie sollten sie dann jemals unverschleiert auf
die Straße gehen können? Für viele ist der den ganzen Körper
bedeckende Umhang ein greifbares Symbol ihrer Diskriminierung. Das
Schlimmste aber sei nicht, die Abaja in der Öffentlichkeit tragen zu
müssen, sondern von der Religionspolizei überwacht zu werden,
beklagen sie. Schon der kleinste Verstoß gegen die Normen könnte zu
einer öffentlichen Rüge führen. Ihren Namen wollen die
Gesprächspartnerinnen nicht nennen, aus Angst vor Repressalien.
Massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit
Trotz des Beitritts Saudiarabiens zur UNO-Frauenrechtskonvention
sei die Diskriminierung von Frauen noch gang und gebe, erklärte die
Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem
Jahresbericht 2001. Aufgelistet wurde unter anderem die Einschränkung
der Bewegungsfreiheit, die "faktisch zum Gefangenhalten im Haus"
führen könne. Um eine Arbeit annehmen zu können, müssen Frauen die
schriftliche Erlaubnis eines männlichen Vormunds vorlegen. Auch beim
Buchen eines Hotelzimmers ist das Vorschrift. Autofahren dürfen
Frauen nicht.
Weniger als 10 Prozent der Frauen sind erwerbstätig
Für die wenigen Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen - das
sind weniger als zehn Prozent -, gelten weitere Regeln. Am
Arbeitsplatz müssen sie von den männlichen Kollegen räumlich getrennt
sitzen. Frauen werden daher vor allem zu Berufen ermutigt, in denen
sie keinen Kontakt zu Männern haben, beispielsweise als Lehrerin an
einer Mädchenschule. Sie dürfen sich nicht zu Ingenieurinnen oder
Juristinnen ausbilden lassen, weil sie in diesen Berufen von Männern
umgeben wären. In jüngster Zeit allerdings studieren immer mehr
Frauen für Aufgaben im Management und Finanzwesen.
Die Beschränkungen für Frauen im öffentlichen Leben rechtfertigen
viele Saudiaraber damit, dass ihre Ehefrauen und Töchter vor
gefährlichen Entwicklungen der westlichen Gesellschaft geschützt
werden sollen. Auch viele Frauen schließen sich dieser Argumentation
an. Veröffentlichungen wie der Amnesty-Bericht stoßen weithin auf
Unverständnis und Ärger.
Anmaßende Urteile aus dem Westen
Der Westen maße sich ein Urteil an, ohne die lokalen Traditionen
und Werte zu berücksichtigen, protestiert etwa Prinzessin Fahda, die
Tochter des verstorbenen Königs Saud und Vorsitzende einer
Wohlfahrtsorganisation für Frauen. Die positiven Entwicklungen würden
hingegen kaum erwähnt. In Saudiarabien dürften Mädchen und Frauen
erst seit 40 Jahren zur Schule gehen, aber seitdem machten sie fast
die Hälfte der Schüler und Studenten aus, führt Fahda als Beispiel
an. "Niemand hat Saudiarabien dafür Anerkennung gezollt", sagt sie.
"Dies ist keine statische Gesellschaft", fügt Nadia Baeshen,
Referentin bei der Handelskammer von Dschidda, hinzu. Veränderungen
bräuchten aber Zeit. Wie die Einführung der Personalausweise für
Frauen: Als das Innenministerium seine Pläne im November 1999 bekannt
gab, entsandten die konservativen Kräfte mehrere Delegationen zu
Kronprinz Abdullah, um ihren Protest zu übermitteln. Trotzdem wurden
die Ausweise durchgesetzt - auch wenn Frauen die Genehmigung eines
männlichen Vormunds benötigen, um eine der Karten zu beantragen.
"Die Gesellschaft bewegt sich"
"Ja, wir wollen Reformen, und es gibt noch viele Hürden", sagt
Radiojournalistin Samar Fatani. Aber den Frauen stünden auch immer
mehr Türen offen. Die rechtliche Gleichstellung sei auch im Westen
nicht über Nacht geschehen, betont Baeshen. Doch die Gesellschaft
bewege sich. Als sie vor zehn Jahren aus den USA zurück nach
Saudiarabien gekommen sei, hätten ihre männlichen Kollegen bei der
Handelskammer noch den Aufzug verlassen, sobald sie ihn betreten
habe, berichtet sie. "Sie hatten nie zuvor eine Frau in dem Gebäude
gesehen." Mittlerweile besuchen Dutzende Frauen das
Ausbildungszentrum der Kammer, das Baeshen mit aufgebaut hat. (APA)