dieStandard.at Der "Berg der Erinnerungen" soll ja so etwas wie ein kollektives Grazer Gedächtnis werden. Wie sehen Sie da Ihre "Macht über die Definition der Erinnerung"? Reisenberger Es ist uns sehr wichtig, dass wir einerseits das Projekt sehr offen halten, das heißt, wir möchten schon jede Erinnerung zulassen, aber nicht nur Dinge wie zum Beispiel den "ersten Kuss". Das ist zwar sehr witzig, aber uns ist das zu wenig. Wir möchten auch im zeitgeschichtlichen Hintergrund bewusst Erinnerungen hervorrufen, die gar nicht so angenehm sind. dieStandard.at Das Projekt bedient sich da also eher eines kritischen Geschichtszugangs? Reisenberger Auf jeden Fall. dieStandard.at Zurückkommend auf diesen ersten Kuss, könnte der nicht auch in einer Alltagsgeschichte viel Interessantes mit sich bringen, mit dem Blickwinkel von Geschichte als individuellem Erlebnis und dieses individuelle Erlebnis als kollektive Geschichte? Reisenberger Genau das ist es, was uns sehr interessiert. Nämlich immer wieder Kontexte herzustellen. Zu sagen, das war der erste Kuss, in der und der Zeit. Deswegen haben wir auch sehr gut ausgebildete Scouts, die das auch wirklich historisch einordnen können und zu dem ersten Kuss, den jemand erlebt hat, Kontext erzeugen zu einer gewissen Zeit oder zu einem gewissen Ereignis. Es gibt da dieses Konzept der subjektiven und objektiven Geschichte. Gewisse Ereignisse, wie zum Beispiel den Zweiten Weltkrieg, den man jetzt grundsätzlich als negativ einstuft, wo es aber sehr wohl auch positive Erinnerungen gibt. Wenn es zum Beispiel trotz großer Not doch etwas Gutes zu Essen gegeben hat. dieStandard.at Unter dem Motto "Jede Erinnerung ist eine wertvolle Erinnerung"? Birgit Reisenberger Die Erinnerungen werden subjektiv bewertet abgegeben und von uns in einen geschichtlichen Kontext eingeordnet. dieStandard.at Aus welchem Zeitrahmen schätzen Sie werden die Erinnerungen kommen? Birgit Reisenberger Wir haben das bewusst auf das letzte Jahrhundert eingeschränkt, wir wollen 1900 bis 2003 bespielen. Und keine Zeit weglassen, obwohl es natürlich so ist, dass die Jahre von 1910 bis 1920 nicht so viele Leute erlebt haben. Die Erinnerungen aus dieser Zeit sind uns genauso wichtig. dieStandard.at Inwieweit werden auch Erinnerungen aus der Steiermark, sprich aus der Umgebung von Graz berücksichtigt? Birgit Reisenberger Wir wollen vor allem Graz-spezifisch bleiben, weil wir ein Projekt der Kulturhauptstadt Graz 2003 sind. Aber natürlich nehmen wir alles auf, nur suchen wir nicht so direkt nach Themen, die einen anderen Bereich betreffen. dieStandard.at Auf welche Themenbereiche beziehungsweise Zeitabschnitte sind Sie schon besonders gespannt? Birgit Reisenberger Mich interessiert überhaupt diese Sache mit der subjektiven und objektiven Erinnerung, dass man sagt, man versucht wirklich die persönlichen Erinnerungen aufzunehmen und nicht zu werten. Nicht gleich in den Kontext zu stellen mit den globalen Erinnerungen. Die Zeitgeschichte, und da vor allem die Kriegsjahre sind für mich persönlich am interessantesten. dieStandard.at Was ist Ihre persönliche Erinnerung an Graz? Birgit Reisenberger Ich bin ursprünglich gar nicht aus Graz, leben aber schon lange hier. Und für mich ist der Kastner und Öhler, als "Zuagraste" sozusagen, die erste Erinnerung an Graz. Ich bin als Kind mit meinen Eltern nach Graz gefahren, vor allem wegen der Rolltreppe zum Kastner und Öhler gefahren. Birgit Reisenberger ist Projektmanagerin der Ausstellung Berg der Erinnerungen , die von 21.03. - 28.09.2003 im Schloßbergstollen im Rahmen der Kulturhauptstadt gezeigt wird. Im Laufe der nächsten 6 Monate werden im "Büro der Erinnerungen" und von ausgebildeten HistorikerInnen Erinnerungen an Graz zusammengetragen, wie zum Beispiel alte Fotos, Kaffeehäferl, Haftbefehle et cetera und in eine Datenbank gespeist, aus der eine Ausstellung in den Stollen des Schlossberges gestaltet wird. Büro der Erinnerungen 16.05. - 15.10.2002 Die - Fr 14.00 - 19.00 Uhr Sa, So, feiertags 10.00 - 17.00 Uhr Mariahilferstrasse 2 8010 Graz (e_mu)