Paris - Sicherheit über alles: Jacques Chirac, der am gestrigen Donnerstag offiziell seine zweite Amtsdauer antrat, hat mittels Regierungsverordnung die Leitung des "Rates für innere Sicherheit" übernommen. Ein hochpolitischer Entscheid: Das Thema Kriminalitätsbekämpfung hat für Chirac höchste Priorität, seit der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen Ende April in den zweiten Durchgang der Präsidentenwahlen gelangte. Drei Wochen vor den Parlamentswahlen dreht sich die gesamte politische Diskussion um die Sicherheitsfrage. Chirac signalisiert mit dem Regierungsbeschluss, dass er den Sicherheitsrat selbst dann leiten werde, wenn die Linke nach einem Wahlsieg im Juni erneut den Premier stellen sollte.

Konkrete Maßnahmen

Der "Conseil de sécurité intérieure" (CSI), an dem jeweils die wichtigsten Minister teilnehmen, war an sich schon 1988 vom damaligen sozialistischen Regierungschef Michel Rocard ins Leben gerufen worden. Er entfaltete aber nie besonders viel Wirkung. Laut Regierungskommuniqué hat der CSI zur Aufgabe, die Sicherheitspolitik des Landes zu lancieren und zu steuern. Als eine der ersten konkreten Maßnahmen dürfte der Rat Polizeikräfte nun auch in der U-Bahn und den Vorortezügen der großen französischen Städte einsetzen.

Die oppositionellen Sozialisten und Grünen warfen Chirac gestern vor, er gieße mit "puren Wahlkampf-Gestikulationen" Öl ins Feuer einer heiklen Thematik. Als symbolische Gesten hatten in den letzten Tagen mehrere Minister Polizeikommissariate, Schnellbahnzüge oder Gerichtsverhandlungen besucht.

Am Wochenende hatte Chirac ein Fußballcupspiel wütend verlassen, als korsische Schlachtenbummler die "Marseillaise" ausbuhten; er kam erst auf die Tribüne zurück, als sich der Verbandschef per Mikrofon "entschuldigte". Die Medien des Landes zollten ihm fast unisono Respekt für die "spontane Autoritätsbekundung" - und verglichen sie mit der Passivität Jospins beim Fußballspiel Frankreich-Algerien vor einigen Monaten, als die Nationalhymne schon einmal ausgepfiffen wurde.
Libération enthüllte nun allerdings, der Geheimdienst habe Chirac schon Tage zuvor orientiert, dass korsische Autonomisten eine Pfeifaktion planten. Chiracs demonstratives Bemühen um die Wiederherstellung der staatlichen Autorität wäre glaubwürdiger, wenn er nicht gleichzeitig einen Politiker (Renaud Donnedieu de Vabres) zum Europaminister ernannt hätte, gegen den wegen Geldwäscherei und illegaler Parteienfinanzierung ermittelt wird.(Der STANDARD, Print-Ausgabe 17.5.2002)