Brüssel/Wien - Nach 20-jähriger Debatte über die Sterbehilfe hat sich im belgischen Parlament ein gewisser Grundkonsens gebildet, wonach unheilbar kranken Menschen ein selbstbestimmtes Sterben ermöglicht werden soll. Aber die jüngsten Meinungsäußerungen im Parlament vor der Abstimmung haben gezeigt, dass es in den Details weiter große Unterschiede gibt. 27 Abgeordnete trugen sich in die Rednerlisten ein, die Debatte dauerte ungewöhnlich lange.Abgeordnete der Christdemokraten kritisierten, dass auch psychisch Kranke von der Sterbehilfe profitieren sollten und Jugendliche Erwachsenen gleichgestellt werden. Auch für Siegfried Kasper, Vorstand der Wiener Uniklinik für Psychiatrie, der aktive Sterbehilfe generell ablehnt, ist der belgische Passus, wonach dauerhaft psychisch Kranke ebenfalls in den Genuss von Sterbehilfe kommen sollen, völlig unerklärlich. "Es gibt nur zwei derart schwere und langwierige psychiatrische Erkrankungen, das sind chronische Depression und chronische Schizophrenie." Diese hätten meist irreversible körperliche Ursachen (Stoffwechselstörungen im Gehirn). Allerdings, so Kasper: "Die Wiener Uniklinik verlassen alle diese Patienten in einem verbesserten Zustand, die meisten sogar ohne Symptome." Wenn schon nicht heilbar, dann zumindest gut behandelbar. Andere psychische Erkrankungen, bei denen die Patienten auch zurechnungsfähig sind, seien heilbar. Und geistig Behinderte, denen der belgische Gesetzesvorschlag Unzurechnungsfähig attestiert, sind ohnedies von der Sterbehilfe ausgenommen. Ausnahme in Notsituationen Für die belgischen Christdemokraten soll die aktive Sterbehilfe jedenfalls eine Ausnahme in Notsituationen sein. Demgegenüber sieht die amtierende Regenbogenkoalition aus Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen das Gesetz als Beitrag zur Selbstbestimmung des Menschen. Die Christdemokraten gaben schon vor der Parlamentsdebatte bekannt, sie würden auf jeden Fall sofort nach der Beschlussfassung gegen das Gesetz Einspruch erheben. Ein gewichtiges Argument liefert ihnen der Europäische Gerichtshof, der erst vor kurzem der Britin Diane Pretty das Recht auf Sterbehilfe verwehrt hat. Pretty hatte argumentiert, das Recht des Menschen auf sein Leben gebe auch das Recht, dieses zu beenden. Die Straßburger Richter entschieden, so könne dieses Recht nicht umgedreht werden. Genau mit der Generallinie wollen die belgischen Christdemokraten vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. "Wir haben eigentlich erwartet, dass nach den Niederlanden zuerst die Schweiz die aktive Sterbehilfe legalisiert, da unsere Nachbarn schon bisher sehr großzügig damit umgegangen sind", erklärte Donnerstag Sepp Wille, Ex-SPÖ-Klubchef und Leiter des österreichischen Arbeitskreises "Menschenwürdig Sterben". "Freiheit ist der Inbegriff menschlicher Kultur", begrüßte er den belgischen Vorstoß. Komme ein mündiger Mensch zur Erkenntnis, unter den gegebenen Umständen nicht mehr leben zu wollen, habe das die Gesellschaft zu akzeptieren. In ihrem "Manifest für die Selbstbestimmung", das der Arbeitskreis 1998 Nationalratspräsident Heinz Fischer übergeben hatte, treten prominente heimische Mediziner, Juristen und Philosophen für die aktive Sterbehilfe in Österreich ein. (dpa, kps, fei, DER SATNDARD Print-Ausgabe 17.Mai 2002)